Aggressivität in der Strafverteidigung?

Die provokante Überschrift ist in sich falsch, weil sie suggeriert, dass Aggressivität immer von der Strafverteidigung ausgeht. Das ist nicht der Fall. Aggressivität im Strafverfahren gibt es gleichwohl.

Schlagzeilen wie „Tumult im Gerichtssaal“, wie zuletzt in Berichten über den Wirecard Prozess, belegen, dass der oft zitierte Kampf um die Gerechtigkeit heftige Formen annehmen kann. Schreiduelle zwischen Verteidigung und Gericht oder Staatsanwaltschaft sind für Strafprozesse zwar nicht typisch, kommen aber durchaus vor. Anders als in anderen Ländern, nicht zuletzt in den USA, haben deutsche Richter keine Möglichkeit, Verteidiger im Saal während der Hauptverhandlung zu disziplinieren. Und das ist gut so.

Die Gefahr, dass aus Angst vor der Reaktion eines Richters die Rechte eines Mandanten nicht konsequent durchgesetzt werden, überwiegt die Gefahr von sehr seltenen Tumulten. Wobei in diesen Fällen, wie in allen Fällen hahnenkampfartigen Verhaltens, beide Seiten versagt haben.

Damit will ich beileibe nicht Duckmäusertum oder gar ein Nachgeben um des lieben Friedens willen loben oder empfehlen. Im Gegenteil: Die kraftvolle Durchsetzung der Mandanteninteressen entspricht dem Auftrag des Verteidigers. Kraftvoll heißt aber nicht laut. Der souveräne Verteidiger gebraucht seine Stimme mit Argumenten, nicht mit Lautstärke.

Auch Richter sind Menschen, wenn sie im Rahmen eines Strafprozesses persönlich angegriffen werden, wird das notwendig das Ergebnis des Verfahrens negativ beeinflussen. Wir wissen aus vielen Untersuchungen, dass reine Objektivität nicht existiert und Ergebnisse von Prozessen – und damit meine ich nicht nur Strafprozesse – von dem sozialen und psychologischen Umfeld erheblich beeinflusst sind. Als Verteidiger erweist man seinem Mandanten einen Bärendienst, wenn man jenseits der Sachebene mit den anderen Prozessbeteiligten streitet.

Der Streit in der Sachebene hingegen muss sein, wo er notwendig wird. Es gäbe keine Urteilsaufhebungen, keine erfolgreichen Revisionen und sogar Wiederaufnahmen, wenn alle Urteile immer richtig wären.  Richter machen auch Fehler, es ist die Aufgabe der Verteidigung, darauf hinzuweisen, ehe sich dieser Fehler in einer Verurteilung verwirklicht. Niemand mag es, auf eigenes fehlerhaftes Handeln hingewiesen zu werden, der Versuch, sich aus der richterlichen Machtstellung heraus der Feststellung eines Fehlers zu entziehen, ist leider ebenfalls menschlich. Für die Verteidigung heißt das aus meiner Sicht, dass man das Gegenüber eher führen als drängen muss. Da, wo dies nicht hilft, muss die gesamte Klaviatur der Strafprozessordnung in aller Konsequenz zum Einsatz gebracht werden. Dann kämpft der Strafverteidiger nicht mehr mit dem Florett, sondern mit dem Breitschwert. Den Morgenstern sollte er auch in dieser Situation liegen lassen. Die Gefahren, dass er damit nicht zuletzt seinen Mandanten verletzt, sind groß.

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