EuGH bestätigt erneut Verbot einer unterschiedslosen Vorratsdatenspeicherung

Der Europäischen Gerichtshof (EuGH) hat erneut zum Thema Vorratsdatenspeicherung entschieden (Urteil vom 20.09.2022, C-793/19 und C-794/19). Erwartungsgemäß hat der Gerichtshof seine bisherige Linie bestätigt: Nationale Rechtsvorschriften, die präventiv zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der Verkehrs- und der Standortdaten vorsehen, verstoßen gegen Unionsrecht. Es gibt allerdings Ausnahmen.

Gang des Verfahrens

Dem Urteil lagen zwei Fälle aus Deutschland zugrunde. Die Diensteanbieter Telekom Deutschland und SpaceNet hatten im Jahr 2016 vor dem Verwaltungsgericht (VG) Köln gegen die ihnen durch § 113a i. V. m. 113b TKG a.F. (jetzt §§ 175, 176 TKG) auferlegte Verpflichtung geklagt, Verkehrs- und Standortdaten ihrer Kunden „auf Vorrat“, also anlasslos, zu speichern. Die Klagen vor dem VG Köln waren erfolgreich. Das VG entschied, dass die anlasslose Vorratsdatenspeicherung gegen Unionsrecht verstößt.

Die Bundesrepublik Deutschland legte gegen die Urteile Revision beim Bundesverwaltungsgericht ein. Da die §§ 113a, 113b TKG a.F. (jetzt §§ 175, 176 TKG) auf einer mittlerweile aufgehobenen EU-Richtlinie beruhen und es für die Auslegung der Normen daher entscheidend auf das Recht der Europäischen Union ankommt, legte das Bundesverwaltungsgericht dem EuGH die Frage vor, ob das Unionsrecht den nationalen Regelungen entgegensteht.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH hat seine bisherige Rechtsprechung bestätigt: Das Unionsrecht steht nationalen Rechtsvorschriften entgegen, „die präventiv zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen“.  

Nationale Rechtsvorschriften stehen dem Unionsrecht jedoch ausnahmsweise dann nicht entgegen, die

  • „es zum Schutz der nationalen Sicherheit gestatten, den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste aufzugeben, Verkehrs- und Standortdaten allgemein und unterschiedslos auf Vorrat zu speichern, wenn sich der betreffende Mitgliedstaat einer als real und aktuell oder vorhersehbar einzustufenden ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit gegenübersieht, sofern diese Anordnung Gegenstand einer wirksamen, zur Prüfung des Vorliegens einer solchen Situation sowie der Beachtung der vorzusehenden Bedingungen und Garantien dienenden Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle sein kann, deren Entscheidung bindend ist, und sofern die Anordnung nur für einen auf das absolut Notwendige begrenzten, aber im Fall des Fortbestands der Bedrohung verlängerbaren Zeitraum ergeht;
  • zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit auf der Grundlage objektiver und nicht diskriminierender Kriterien anhand von Kategorien betroffener Personen oder mittels eines geografischen Kriteriums für einen auf das absolut Notwendige begrenzten, aber verlängerbaren Zeitraum eine gezielte Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen;
  • zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit für einen auf das absolut Notwendige begrenzten Zeitraum eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der IPAdressen, die der Quelle einer Verbindung zugewiesen sind, vorsehen;
  • zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung der Kriminalität und zum Schutz der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der die Identität der Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel betreffenden Daten vorsehen;
  • es zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und, a fortiori, zum Schutz der nationalen Sicherheit gestatten, den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste mittels einer Entscheidung der zuständigen Behörde, die einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegt, aufzugeben, während eines festgelegten Zeitraums die ihnen zur Verfügung stehenden Verkehrs- und Standortdaten umgehend zu sichern.“

Diese Rechtsvorschriften müssen laut EuGH durch klare und präzise Regeln sicherstellen, dass bei der Speicherung der fraglichen Daten die für sie geltenden materiellen und prozessualen Voraussetzungen eingehalten werden und dass die Betroffenen über wirksame Garantien zum Schutz vor Missbrauchsrisiken verfügen.

Fazit

Der EuGH hat seine Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung mit jeder Entscheidung weiter präzisiert. Die Ausführungen tragen im Ergebnis – wenig überraschend – die Gründe aus den vorherigen Entscheidungen vor (EuGH, Urteil vom 5.4.2022 – C -140/20 – Commissioner of An Garda Siochana; EuGH, Urteil vom 2.3.2021 – C-746/18 – Prokuratuur; EuGH, Urteil vom 6.10.2020 – C-511/18, C-512/18 u. C-520/18 – La Quadrature du Net u.a.; EuGH, Urteil vom 21.12.2016 – C-203/15 u. C-698/15 – Tele2 Sverige; EuGH, Urteil vom 8.4.2014 – C-293/12 u. C-594/12- Digital Rights Ireland Ltd). Die dort aufgeführten zulässigen Ausnahmen greift der Gerichtshof auch im aktuellen Urteil erneut auf.

Der deutsche Gesetzgeber muss nun handeln. Er wird die noch geltenden §§ 175 – 181 TKG und § 100g Abs. 2 StPO aufheben (müssen).

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