Noch ein Jahr bis zur Umsetzung: Auswirkungen der neuen Umweltstrafrechtsrichtlinie auf die deutsche Rechtsordnung
Am 20. Mai 2024 ist die EU-Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt (2024/1203/EU) in Kraft getreten. Der europäische Gesetzgeber ersetzt damit die beiden Vorgängerrichtlinien (2008/99/EG und 2009/123/EG) mit Blick auf die steigende Bedeutung der Verfolgung umweltbezogener Kriminalität. Zudem werden zahlreiche Vorgaben für neue Straftatbestände sowie eine Verschärfung der Sanktionen für natürliche und juristische Personen geschaffen. Derzeit läuft die Frist zur Umsetzung in nationales Recht. Spätestens bis zum 21. Mai 2026 muss die Richtlinie von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Die damit verbundenen Neuerungen werden nicht nur den deutschen Gesetzgeber, sondern auch Unternehmen vor erheblichen Anpassungsbedarf stellen.
Umsetzungsfrist der Richtlinie
Eine EU-Richtlinie ist ein Rechtsakt, der vorgibt, welches Ziel die von der Richtlinie adressierten EU-Länder erreichen müssen. Die EU-Mitgliedstaaten dürfen jedoch selbst entscheiden, wie sie dieses Ziel umsetzen – beispielsweise durch eigene Gesetze oder Verordnungen. Für die Umweltstrafrechtsrichtlinie ist festgelegt, dass die Länder zwei Jahre Zeit für die Umsetzung haben. Diese Frist endet am 21. Mai 2026, also in gut einem Jahr.
Von der Richtlinie betroffener Personenkreis
Soweit die Richtlinie den Erlass von Straftatbeständen vorsieht, unterliegen diese keinen personellen Einschränkungen, d. h., die zu erlassenden Straftatbestände können von jeder natürlichen Person verwirklicht werden. Darüber hinaus enthält die Richtlinie auch Vorgaben zur Sanktionierung juristischer Personen, wobei auch hier keine Einschränkungen auf gewisse Tätigkeitsfelder gelten. Da die Tatbestände teilweise auch sachlich weit formuliert sind, sollten auch Unternehmen außerhalb klassischer umweltsensibler Sektoren die Richtlinie bei der Gestaltung ihres Compliance-Management-Systems berücksichtigen.
Ausweitung der Strafbarkeit
Die Richtlinie legt in Artikel 3 bestimmte Straftatbestände im Bereich des Umweltschutzes fest und erweitert damit die bisherige Liste der Richtlinie 2008/99/EG, die neun Umweltstraftaten aufführte, um elf weitere Tatbestände. Allen gemeinsam ist, dass sie voraussetzen, dass eine rechtswidrige Handlung begangen wurde.
Im deutschen Umweltstrafrecht gilt bereits der Grundsatz der sogenannten verwaltungsrechtlichen Akzessorietät. Das bedeutet: Wer für ein bestimmtes Verhalten eine wirksame verwaltungsrechtliche Genehmigung besitzt, handelt nicht rechtswidrig. Es gibt jedoch Ausnahmen, etwa wenn die Genehmigung durch Drohung, Bestechung, unerlaubte Absprachen oder Falschaussagen erlangt wurde – das ist in § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB geregelt.
Die neue Richtlinie geht jedoch noch weiter: Künftig soll eine behördliche Genehmigung auch dann nicht ausreichen, um die Rechtswidrigkeit auszuschließen, wenn sie „offensichtlich gegen die maßgeblichen materiellen Anforderungen“ verstößt. Im deutschen Recht ist das bislang anders: Hier verlieren Genehmigungen ihre Wirkung nur, wenn sie als nichtig angesehen werden, also wenn besonders schwerwiegende und offensichtliche Mängel vorliegen. Deshalb sind Änderungen am § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB oder auch an § 44 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) erforderlich.
Neue Straftatbestände
Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie nennt eine Vielzahl unterschiedlicher Verhaltensweisen, die künftig unter Strafe gestellt werden müssen. Neu im Vergleich zur Vorgängerrichtlinie sind insoweit folgende Tatbestände:
- Inverkehrbringen umweltschädlicher Erzeugnisse (lit. b)
- Umgang mit umweltschädlichen Stoffen (lit. c)
- Umgang mit Quecksilber (lit. d)
- Durchführung bestimmter ungenehmigter Projekte (lit. e)
- Recycling von Schiffen außerhalb zugelassener Abwrackeinrichtungen, sog. „Beaching“ (lit. h)
- Unzulässige Einleitung von Schadstoffen durch Schiffe in bestimmte Meeresgebiete (lit. i)
- Bau, Betrieb und Abbau von Offshore-Erdöl- und -erdgasanlagen (lit. k)
- Entnahme von Oberflächen- oder Grundwasser (lit. m)
- Import, Export oder Bereitstellung bestimmter Produkte im Zusammenhang mit illegaler Waldrodung (lit. p)
- Umgang mit invasiven Tier- oder Pflanzenarten (lit. r)
- Umgang mit fluorierten Treibhausgasen (lit. t)
Anpassungsbedarf im deutschen Recht
Das deutsche Recht kennt bereits heute verschiedene Straftatbestände, welche die in der neuen Richtlinie genannten Handlungen abdecken. Dennoch besteht in einigen Punkten Anpassungsbedarf:
So erfasst Art. 3 Abs. 2 lit. a der Richtlinie nicht nur das Einbringen gefährlicher Stoffe in die Umwelt, sondern auch das Einleiten von Energie (etwa Wärme oder Elektrizität) in Luft, Boden oder Wasser. Das deutsche Strafrecht (§§ 324 ff. StGB) bezieht sich bisher jedoch nur auf Stoffe (also feste, flüssige oder gasförmige Materialien) und schließt Energie nicht ein.
Ein weiterer wichtiger Punkt findet sich in Art. 3 Abs. 2 lit b der Richtlinie. Danach muss schon das Inverkehrbringen von Erzeugnissen strafbar sein, wenn deren Nutzung in größerem Maßstab geeignet ist, erhebliche Gefahren für Menschen oder die Umwelt zu verursachen. Das geht weiter als die bisherige Gesetzgebung, denn bislang setzt die Strafbarkeit eine tatsächliche Schädigung voraus. Die Richtlinie verlangt dagegen schon eine Bestrafung bei der bloßen Gefährdung, unabhängig davon, ob es tatsächlich zu einem Schaden kommt. Die Richtlinie geht damit sogar über die zivilrechtliche Produkthaftung hinaus, die bloße Gefährdungen nicht erfasst.
Auch Art. 3 Abs. 2 lit. e der Richtlinie verlangt neue Regelungen: Zukünftig muss bereits die nicht genehmigte Durchführung bestimmter Projekte – auch schon der Bau oder die Errichtung von Anlagen wie Raffinerien oder Mastbetrieben – strafbar sein, sofern dadurch erhebliche Umweltschäden möglich sind. Nach aktuellem Recht (§§ 325 ff. StGB) ist meist erst der Betrieb solcher Anlagen strafbar, nicht schon deren Errichtung oder Bau. Hier ist also eine deutliche Vorverlagerung der Strafbarkeit zu erwarten.
Art. 3 Abs. 2 lit. h der Richtlinie betrifft das sogenannte „Beaching“, das heißt das Abwracken von Schiffen in nicht dafür zugelassenen Anlagen. Das deutsche Recht sieht hier bislang nicht in allen Fällen eine Bestrafung vor; diese bestehenden Strafbarkeitslücken müssen geschlossen werden.
Zum Schutz von Wäldern verpflichtet Art. 3 Abs. 2 lit. p der Richtlinie dazu, die Einfuhr, das Anbieten oder den Export von Produkten strafrechtlich zu erfassen, die im Verstoß gegen die Verordnung (EU) 2023/1115 mit dem Ziel entwaldungsfreier Lieferketten (sog. Entwaldungsverordnung) hergestellt wurden, also etwa illegal geschlagenes Holz oder auf illegalen Rodungsflächen angebaute Sojabohnen. Die Strafbarkeit soll aber nicht nur greifen, wenn gegen inhaltliche Vorgaben im Herkunftsland verstoßen wurde, sondern sogar dann, wenn lediglich eine vorgeschriebene Sorgfaltserklärung (Art. 3 lit. c der Entwaldungsverordnung) fehlt – auch wenn sonst alle Vorschriften eingehalten wurden. Solche reinen Formalverstöße sollten als Ordnungswidrigkeit behandelt werden, nicht als Straftat.
Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass für die meisten neuen Straftatbestände kein Vorsatz mehr erforderlich ist. Bereits grob fahrlässiges (leichtfertiges) Verhalten soll genügen (Artikel 3 Abs. 4 der Richtlinie). Nur bei einigen Tatbeständen, etwa bei Projektvorhaben oder beim Beaching, bleibt es bei dem Vorsatzerfordernis. Zwar kennt das deutsche Umweltstrafrecht bereits einige fahrlässige Delikte (z. B. §§ 324 Abs. 3, 324a Abs. 3, 325 Abs. 4, 5 StGB). In Anbetracht der Weite der von der Richtlinie geforderten Tatbestände auf objektiver Ebene erscheint eine derartige Ausweitung auch auf subjektiver Ebene indes nicht unproblematisch. Neu ist zudem, dass die Richtlinie für die meisten Delikte auch eine Strafbarkeit des Versuchs vorsieht (Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie).
Sanktionen für natürliche Personen
Die Richtlinie verlangt nicht nur allgemein wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Strafen, sondern macht erstmals auch genaue Vorgaben dazu, wie hoch und in welcher Form Strafen gegen natürliche Personen ausfallen sollen (Art. 5).
Für Freiheitsstrafen legt die Richtlinie grundsätzlich vor, dass das Strafmaß mindestens drei oder fünf Jahre betragen muss. In besonders schweren Fällen erhöhen sich die geforderten Höchststrafen: Wurde zum Beispiel ein besonders schützenswertes Ökosystem zerstört oder kam es zu großen, dauerhaften oder irreversiblen Umweltschäden, müssen die Mitgliedstaaten eine Freiheitsstrafe von mindestens acht Jahren vorsehen. Führt eine Straftat zum Tod eines Menschen, sieht die Richtlinie bei grober Fahrlässigkeit mindestens fünf Jahre und bei vorsätzlichem Handeln sogar zehn Jahre als Höchststrafe vor.
Darüber hinaus gibt die Richtlinie den EU-Ländern die Möglichkeit, weitere strafrechtliche Nebenfolgen einzuführen. Dazu gehört zum Beispiel die Pflicht, den ursprünglichen Zustand der Umwelt wiederherzustellen oder einen entstandenen Schaden finanziell auszugleichen. Außerdem können Täterinnen und Täter von staatlichen Förderungen oder Ausschreibungen ausgeschlossen sowie bestehende Genehmigungen entzogen werden, sofern dies mit der Tat im Zusammenhang steht. Auch das Verbot, Führungspositionen in Unternehmen zu übernehmen, ist möglich. Auffällig ist, dass die Richtlinie auch die Veröffentlichung von Gerichtsurteilen – in Ausnahmefällen sogar mit Namensnennung des Verurteilten („Naming and Shaming“) – gestattet. Inwieweit das im Hinblick auf Resozialisierungsaspekte rechtspolitisch zweckmäßig ist, bleibt allerdings umstritten.
Sanktionen für juristische Personen
Wird eine Straftat im Interesse einer juristischen Person (etwa einem Unternehmen oder Organisation) begangen, sieht die Richtlinie vor, dass auch gegen diese juristische Person Sanktionen verhängt werden können (Art. 7). Neu ist dabei, dass die Richtlinie genaue Vorgaben dazu macht, wie hoch diese Sanktionen ausfallen sollen und welche Sanktionsarten in Betracht kommen. Im Mittelpunkt steht dabei die Geldsanktion: Je nach Schwere des Verstoßes muss das mögliche Höchstmaß mindestens fünf Prozent des weltweiten, im Vorjahr erzielten Jahresumsatzes oder 40 Millionen Euro beziehungsweise mindestens drei Prozent des Vorjahresumsatzes oder 24 Millionen Euro betragen.
Zusätzlich haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, weitere Maßnahmen festzulegen. Dazu gehören etwa die Verpflichtung zum Schadensersatz, der Ausschluss von staatlicher Förderung, der Entzug von Genehmigungen, Tätigkeitsverbote oder auch die Veröffentlichung des Urteils. Daneben sieht die Richtlinie speziell für Unternehmen besondere Sanktionen vor: So können diese unter gerichtliche Aufsicht gestellt werden, einzelne Einrichtungen geschlossen oder sogar das ganze Unternehmen aufgelöst werden. Auch eine Pflicht zur Einführung wirksamer umweltbezogener Compliance-Systeme kann angeordnet werden.
Großer Gestaltungsspielraum
Die Richtlinie räumt den EU-Ländern bei der Umsetzung dieser Vorgaben große Gestaltungsspielräume ein. Es bleibt daher abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber diese Vorgaben konkret umsetzen wird. Ein eigenes Verbandsstrafrecht verlangt die Richtlinie nicht, weshalb das bisherige System nach den §§ 9, 30, 130 OWiG grundsätzlich bestehen bleiben kann. Allerdings muss die bislang geltende Bußgeldobergrenze von zehn Millionen Euro nach oben angepasst werden. Die Einführung weiterer Sanktionen – etwa die Auflösung von Unternehmen – ist optional, könnte in Deutschland aber erneut die Diskussion um ein eigenes Verbandsstrafrecht anstoßen.
Regelungen zur Strafzumessung
Für die Bestimmung der Strafzumessung nennt die Richtlinie verschiedene Umstände, die entweder strafverschärfend oder strafmildernd wirken können (Art. 8 und 9 der Richtlinie). Von diesen Umständen muss jeder Mitgliedstaat mindestens einen in sein Recht übernehmen. Zu den erschwerenden Faktoren zählt zum Beispiel, wenn durch die Tat nicht wiedergutzumachende Schäden entstanden sind, der Täter sich erhebliche finanzielle Vorteile verschaffen wollte oder wenn ein Amtsträger die Straftat im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit begangen hat. Strafmildernd kann sich dagegen auswirken, wenn der Täter sich um eine Begrenzung des Schadens bemüht hat oder bei den Ermittlungen mit den Behörden zusammengearbeitet hat.
Weitere staatliche Maßnahmen
Um Umweltkriminalität effektiv zu bekämpfen, sieht die Richtlinie verschiedene ergänzende staatliche Maßnahmen vor. Hierzu zählen etwa der Schutz von Personen, die Umweltstraftaten melden oder bei Untersuchungen mitwirken (Art. 14). Darüber hinaus verlangt die Richtlinie Präventionsmaßnahmen, wie Informations- und Aufklärungskampagnen sowie Programme für Forschung und Bildung im Umweltbereich (Art. 16). Außerdem sollen die Strafverfolgungsbehörden personell und technisch besser ausgestattet werden, damit sie effektiver arbeiten können (Art. 17). Ebenso wird gefordert, dass Richter, Staatsanwälte, Polizei und weitere Beschäftigte der zuständigen Behörden regelmäßig in Bezug auf Umweltkriminalität geschult und fortgebildet werden (Art. 18).
Ausblick
Die Mitgliedstaaten müssen die Richtlinie bis zum 21. Mai 2026 in nationales Recht umsetzen. Für Unternehmen kann das weitreichende Veränderungen im laufenden Geschäft und beim Compliance-Management mit sich bringen. Da die Umstellung oft nicht kurzfristig möglich ist, empfiehlt es sich für betroffene Unternehmen schon jetzt, sich intensiv mit den neuen Vorgaben zu beschäftigen. Wir unterstützen Sie gerne dabei .