Die siebenfache Fragwürdigkeit des Verbandssanktionengesetzes

Steht das Strafrecht vor einer Revolution in Gestalt des „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“? Oder wird diese angesichts heftiger Kritik aus Rechtswissenschaft und Wirtschaft abgesagt? Welcher Ausgang wäre zu begrüßen? In der Kontroverse um ein Unternehmensstrafrecht vermischen sich viele Ebenen. Im folgenden Gastbeitrag widmet sich Dennis Bock sieben Fragwürdigkeiten des Verbandssanktionengesetzes.

Fragwürdigkeit 1

Zunächst geht es bei der Kritik am Unternehmensstrafrecht darum, ob man einer zusätzlichen Regulierung wirtschaftlicher Tätigkeit grundsätzlich ablehnend gegenübersteht oder ob man sie befürwortet, zumal in einer Zeit pandemiebedingter Wirtschaftsschwäche und in einer globalisierten Wirtschaft mit Ausweicheffekten.

Fragwürdigkeit 2

Man mag über das empirische Lagebild zur Kriminalität in Verbänden geteilter Auffassung sein. In einer Kriminalpolitik mit Rationalitätsanspruch muss von diesem Lagebild immerhin das Bedürfnis nach Sanktionsschaffung bzw. -verschärfung und deren Ausmaß abhängen.

Fragwürdigkeit 3

Hiermit hängt zusammen, ob die bisherige Rechtslage – die einerseits Individualverantwortlichkeiten en masse begründet (inklusive Fahrlässigkeits- und Unterlassungsverantwortlichkeiten), die andererseits in Gestalt nicht nur des § 30 OWiG, sondern auch der Einziehung kollektivwirkende Sanktionen bereits jetzt bereitstellt – nicht ausreicht. Oder ob sie nur kleinerer Reformen bedarf, etwa durch eine Aufwertung des § 130 OWiG zu einer Straftat. Letztlich zielt auch der Entwurf des VerSanG auf eine straftatvermeidende Beeinflussung des Verhaltens der Verbandsverantwortlichen, so dass sich eine direkte individuelle Erhöhung der Anreize vorrangig anböte.

Fragwürdigkeit 4

Ob die Zurechnung einer Straftat einer Person als „Verbandstat“ zu einem (noch denkbar weit gefassten) Verband unter eher vagen Voraussetzungen § 3 I VerSanG-E verfassungsrechtlich haltbar ist, ist zweifelhaft. Dies zum einen im Hinblick auf, das vom BVerfG besonders betonte strafrechtliche Schuldprinzip; zum anderen im Hinblick auf allgemeine Verhältnismäßigkeitsfragen bei Grundrechtseingriffen und drittens im Hinblick auf Aspekte der Bestimmtheit.

Fragwürdigkeit 5

Es ist seit jeher heftig umstritten, ob ein Verband Handlungsfähigkeit, Schuldfähigkeit, Straffähigkeit aufweist. Wenn der VerSanG-E dies durch Änderung der Terminologie zu umgehen sucht, stößt dies rasch an sichtbare Grenzen: Beginnend bei der grundgesetzlichen Gesetzgebungskompetenz, weiter über die im Gesetzentwurf verwendeten Begrifflichkeiten (z.B. Unternehmenskriminalität) bis hin zur nicht zu leugnenden Tatsache, dass es eben um schlichte Zurechnung einer menschlichen Straftat zu einem Verband geht, welcher dann anlässlich dieser Tat mit Nachteilen belegt wird.

Schon der Begriff Verbandstat legt offen, dass der Gesetzgeber eben doch davon ausgeht, dass der Verband etwas „tut“, aber kann er das? Oder geht es doch um die im Verband tätigen Menschen? Übrigens: Welche Funktion erfüllt eine moralisch aufgeladene „Integrität in der Wirtschaft“ im gesetzgeberischen Diskurs? Bestenfalls Begriffsverunklarung, schlimmstenfalls framenden Populismus als Ausdruck generellen Misstrauens und Generalverdachts zu Zwecken politischer Profilierung.

Fragwürdigkeit 6

Lange ließe sich über zahlreiche Unstimmigkeiten der konkreten Normen des VerSanG-E ausführen, materiell und prozessual. Dem BMJV ist zugutezuhalten, dass auf seiner Homepage minutiös Stellungnahmen zugänglich sind, die das übernehmen. Die Lektüre ist zu empfehlen, gerade weil ersichtlich der Teufel auch bei Akzeptanz eines berechtigten Grundanliegens im Detail steckt. Zu den Sanktionen: Inhaber der Verbände sind keine ominösen Milliardäre, sondern zahlreiche Kleinaktionäre, die auf Straftaten der dortigen Mitarbeiter keinerlei Einfluss haben. Die aber mit ihrem Vermögen dafür gerade stehen müssten – ein eklatantes Problem der Bestrafungsgerechtigkeit (ausf. Bock, Criminal Compliance, 2. Aufl. 2013, S. 413ff.) – und nur eine gewichtige Schieflage unter etlichen im Entwurf.

Fragwürdigkeit 7

Nimmt man alle materiell-rechtlichen Pauschalisierungen und Vagheiten zusammen und addiert die beträchtlichen Sanktionsmöglichkeiten und prozessualen Rahmenbedingungen, so ergeben sich gravierende Zweifel an der Praktikabilität. Dies zum einen für die zuständigen staatlichen Stellen, zum anderen für die Normunterworfenen, zu denen eben nicht nur Großverbände wie internationale Konzerne gehören, sondern auch deutlich kleinere Verbände mit beschränkten Ressourcen aller Art. Jedenfalls drohen gegebenenfalls lange Jahre materiell und immateriell schädlicher Konfusion, bis die Rechtsprechung nach und nach an zentralen Stellen für abschließende Entscheidungen gesorgt haben könnte.

Bewertung

Alternativen zu einem VerSanG gäbe es zuhauf. Für Regulierungen der Verbände selbst gibt es ohnehin zahlreiche Spezialgesetze, in die man „angemessene Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten wie insbesondere Organisation, Auswahl, Anleitung und Aufsicht“ (s. § 3 I Nr. 2 VerSanG-E) aufnehmen könne, gegebenenfalls mit einer Bußgeldbewehrung, die im öffentlichen Wirtschaftsrecht ohnehin Standard ist (besonders deutlich beispielsweise im KWG zur Einhegung des Bankensektors).

Will man eine straftaterschwerende Verbandsführung fördern, dürfte es noch am nächsten liegen, den an entsprechender Stelle tätigen Personen unmittelbar strafbewehrte Handlungspflichten aufzuerlegen. Dies dann aber mit einem seriösen Maß an Bestimmtheit. An einem hinreichend konkreten Maßstab zur Abgrenzung von erlaubten und unerlaubten (Aufsichts-)Risiken im Unternehmen können sich dann auch Verbandsverantwortliche mit juristischer Unterstützung verlässlich ausrichten. Sie können somit tatsächlich Compliance zur Unternehmenskultur machen, und das eben mit dann geeigneter staatlicher Beeinflussungswirkung (welche natürlich international kompatibel sein muss).

Eine neue Spur des Strafrechts braucht es nicht. Schon gar nicht in der konkreten Gestalt des VerSanG-E, mit dessen genauer Auslegung inklusive der Vorbereitung größerer Handbücher die Pessimisten seit längerem beschäftigt sind, während die Optimisten eine Wiederholung des Schicksals des Kutschaty-Entwurfs (sofern dieser noch in Erinnerung ist) erwarten. Der Umsichtige rüstet sich für beides gleichermaßen.

 

Hinweis: Mit unserem Blog möchten wir ein Forum für einen meinungsfreudigen, offenen Diskurs zum Unternehmensstrafrecht bieten. Daher veröffentlichen wir regelmäßig auch Gastbeiträge anerkannter Experten aus Beratung und Wissenschaft. Die in den Gastbeiträgen vertretene Meinung muss dabei nicht unbedingt die Ansicht der Sozietät Wessing & Partner widerspiegeln.

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RiOLG Univ.-Prof. Dr. Dennis Bock lehrt Deutsches und Internationales Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Kiel und ist zudem Richter am Oberlandesgericht Schleswig.