Berichtigung von Steuererklärungen nach einer Betriebsprüfung – Was ändert sich durch § 153 Abs. 4 AO n.F.?

Die Berichtigung fehlerhafter Steuererklärungen nach § 153 AO gehört zum Tagesgeschäft in Unternehmen, ist aber in steuerstrafrechtlicher Sicht ein Minenfeld: Die vorsätzliche Nichtberichtigung ist als Steuerhinterziehung durch Unterlassen strafbewehrt. Doch auch eine Berichtigung kann strafrechtliche Ermittlungen auslösen, in deren Rahmen geprüft wird, ob der Steuerpflichtige den ursprünglichen Fehler vorsätzlich oder leichtfertig begangen hat.

Mit dem DAC7-Umsetzungsgesetz hat der Gesetzgeber die Anzeige- und Berichtigungspflichten in
§ 153 AO erstmals nach 50 Jahren erweitert. Der neue § 153 Abs. 4 AO sieht eine Anzeige- und Berichtigungspflicht für den Fall vor, dass ein bestandskräftiger Bescheid nach einer Außenprüfung vorliegt und darin Sachverhalte berücksichtigt werden, die Auswirkungen auf nicht geprüfte Besteuerungsgrundlagen haben. Die Neuregelung soll insbesondere der Beschleunigung von Anschlussprüfungen dienen, indem der Steuerpflichtige verpflichtet wird, Steuererklärungen selbständig an die Vorprüfung anzupassen, damit der Prüfer sich auf neue Sachverhalte konzentrieren kann. Für Unternehmen und Berater stellt sich die Frage, wie sich der Umgang mit Feststellungen einer Betriebsprüfung in Folge der Neuregelung ändert.

Bisher: Anzeige- und Berichtigung von Fehlern nach § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO

Stellt die Betriebsprüfung (Bp.) Fehler fest, bedarf es für die geprüften Steuern und Zeiträume keiner zusätzlichen Anzeige oder Berichtigung durch den Steuerpflichtigen. Zur Anpassung von Steuererklärungen, die nicht Gegenstand der Bp. waren, ist der Steuerpflichtige bislang nur unter den Voraussetzungen des § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO verpflichtet. Dieser sieht eine Pflicht zur unverzüglichen Anzeige und zur Berichtigung vor, wenn der Steuerpflichtige positiv erkennt, dass eine abgegebene Steuererklärung unrichtig ist und zur Steuerverkürzung geführt hat.

Für die Frage, ob eine Erklärung bei Abgabe richtig war, ist die Ansicht der Bp. ohne Bedeutung: Stand die Erklärung im Einklang mit der Auffassung von Rechtsprechung und Finanzverwaltung, ist der Steuerpflichtige auch dann nicht zu einer Berichtigung verpflichtet, wenn sich nun herausstellt, dass die Bp. die Rechtslage anders beurteilt. Die Bp. kann dem Steuerpflichtigen lediglich die positive Kenntnis der Fehlerhaftigkeit der Erklärung vermitteln. Ist der Steuerpflichtige jedoch trotz entsprechender Feststellung der Bp. der Ansicht, dass die ursprüngliche Erklärung richtig war, weil sie im Einklang mit der Ansicht der Rechtsprechung und Finanzverwaltung stand, ist er nicht zur Anzeige und Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO verpflichtet. Er hat keine positive Kenntnis von der Unrichtigkeit. Als innere Tatsache kann die positive Kenntnis nur anhand äußerer Umstände festgestellt werden. Gegen das Vorliegen einer positiven Kenntnis sprechen z.B. die entsprechende Auskunft eines steuerlichen Beraters anlässlich einer Bp.-Feststellung und die Anfechtung von Steuerbescheiden, in denen die Bp.-Feststellung umgesetzt wird.

Weiter muss der Steuerpflichtige erkennen, dass er den gleichen Fehler in Steuererklärungen gemacht hat, die nicht von der Prüfung umfasst sind. Eine solche Kenntnis wird insbesondere bei Dauersachverhalten naheliegen. Ein Kennenmüssen oder Kennenkönnen reichen nicht aus. Es bestehen im Steuerrecht bislang keine Nachforschungspflichten. Der Steuerpflichtige macht sich somit auch dann nicht wegen einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen strafbar, wenn er keine Korrekturen vornimmt, obwohl er auf Grundlage einer Bp.-Feststellung die Unrichtigkeit einer anderen nicht geprüften Steuererklärung nunmehr billigend in Kauf nimmt. Eine andere – steuerstrafrechtlich nicht relevante – Frage ist, inwieweit ein ordentlicher Geschäftsleiter gesellschaftsrechtlich verpflichtet ist, Hinweisen auf (steuerliche) Unregelmäßigkeiten nachzugehen.

Die Anzeige- und Berichtigungspflicht kann auch schon vor dem Abschluss der Bp. entstehen. Entscheidend ist, wann der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit der nicht geprüften Steuererklärungen positiv erkannt hat.

Achtung: Die Problematik der positiven Kenntnis betrifft nur abgegebene Erklärungen. Will der Steuerpflichtige in Zukunft von der Ansicht der Bp. abweichen, muss er die Abweichung im Rahmen der zukünftigen Erklärung offenlegen, wenn er vermeiden will, dass ihm leichtfertiges oder (bedingt) vorsätzliches Verhalten vorgeworfen wird.

Nach 31.12.2024: zusätzlich Anzeige und Berichtigung bei Abweichungen von Bp.

Nach dem Wortlaut des § 153 Abs. 4 AO hat die neue Anzeige- und Berichtigungspflicht folgende Voraussetzungen: Es muss sich um einen „geprüften Sachverhalt“ handeln, welcher der Prüfungsfeststellung einer Außenprüfung (§ 193 AO) zugrunde lag. Die Prüfungsfeststellung muss unanfechtbar umgesetzt worden sein, z.B. weil die Einspruchsfrist abgelaufen ist oder auf den Rechtsbehelf verzichtet wurde. Schließlich muss der geprüfte Sachverhalt in einer anderen, ungeprüften Steuererklärung zu einer Änderung der Besteuerungsgrundlagen führen. Diese Voraussetzung ist der zentrale Streitpunkt der Regelung:

  • Bei wörtlicher Auslegung ist der Anwendungsbereich eng: Erfasst werden allenfalls
    (Dauer-)Sachverhalte, die in die Zukunft (fort-)wirken (z.B. AfA, Bewertung einer Rückstellung etc.).
  • Bei weiter Auslegung wären auch wiederkehrende Sachverhalte umfasst, wenn sie sich mit den geprüften Sachverhalten in den wesentlichen Aspekten decken (z.B. vergleichbare Geschäftsvorfälle).

Die zweite umstrittene Frage ist, ob Abs. 4 wie Abs. 1 an die Kenntnis des Steuerpflichtigen anknüpft. Die Frage hat eine erhebliche praktische Bedeutung: Wenn Abs. 4 AO eine kenntnisunabhängige objektive Pflicht normiert, wäre der Steuerpflichtige nunmehr verpflichtet, Nachforschungen anzustellen, ob es in Zeiträumen außerhalb der Bp. zu korrigierende Sachverhalte gegeben hat. Sollen auch vergleichbare Sachverhalte unter Abs. 4 fallen, führt eine kenntnisunabhängige Berichtigungspflicht zu einer unzumutbaren Vervielfachung von Prüfungspflichten beim Steuerpflichtigen, da er jede Steuererklärung vor Abgabe und nach Abschluss einer jeden Betriebsprüfung – und zwar unabhängig von Steuerart und Besteuerungszeitraum – nochmals auf zu korrigierende Sachverhalte untersuchen müsste. Vor diesem Hintergrund ist eine einschränkende Auslegung geboten. An mindestens einer Stellschraube ist zu drehen: Entweder sind vergleichbare Sachverhalte aus dem Anwendungsbereich herauszunehmen, oder die Entstehung der Anzeige- und Berichtigungspflicht ist wie bei Abs. 1 an die positive Kenntnis des Steuerpflichtigen zu knüpfen.

Als Rechtsfolge bestimmt Abs. 4 eine Anzeige- und Berichtigungspflicht wie in Abs. 1 („die Anzeige- und Berichtigungspflicht gilt ferner“). Der Steuerpflichtige ist daher zunächst verpflichtet, unverzüglich anzuzeigen, dass die geprüften Sachverhalte auch in einer bestimmten anderen Erklärung zu einer Änderung von Besteuerungsgrundlagen führen. Sodann hat er die notwendigen Richtigstellungen vorzunehmen. Der Steuerpflichtige muss die Rechtsauffassung der Bp. jedoch nicht übernehmen. Hält er hinsichtlich der nicht geprüften Steuererklärungen an seiner Rechtsauffassung fest, ist es ausreichend, wenn er die Finanzbehörde über die betroffenen Steuererklärungen und die steuerlichen Auswirkungen informiert.

Die vorsätzliche Nichtanzeige nach § 153 Abs. 4 AO kann grundsätzlich zu einer Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen führen. Wenn Abs. 4 eine kenntnisunabhängige Pflicht normieren sollte, ist erstmals auch eine Sanktionierung wegen bedingt vorsätzlicher Steuerhinterziehung oder einer leichtfertigen Steuerverkürzung möglich, wenn der Verpflichtete die Auswirkungen auf nicht geprüfte Steuererklärungen in Kauf nimmt bzw. leichtfertig verkennt, weil er z.B. trotz entsprechender Feststellungen keine Nachforschungen unternimmt.

Unterschiede zwischen § 153 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 AO

  • 153 Abs. 4 AO knüpft nicht an die objektive Unrichtigkeit der Ursprungserklärung. An die Stelle tritt die unanfechtbare Umsetzung von Bp.-Feststellungen zu Sachverhalten, die Auswirkungen auf nicht geprüfte Steuererklärungen haben.
  • 153 Abs. 4 AO soll anders als Abs. 1 keine positive Kenntnis von steuerlichen Auswirkungen voraussetzen. Es bestehen daher Nachforschungspflichten.
  • Weiter erfasst Abs. 4 auch Fehler, die sich zu Lasten des Steuerpflichtigen ausgewirkt haben.
  • Schließlich setzt die Berichtigungspflicht nach Abs. 4 in der Regel später an als die Pflicht nach Abs. 1: nämlich erst mit Unanfechtbarkeit der nach Abschluss der Bp. ergehenden Bescheide.

Für den Fall von Dauersachverhalten (richtigerweise der einzige Anwendungsfall der Neuregelung) sind die Auswirkungen der Neuregelungen nicht groß: Lässt der Steuerpflichtige die Umsetzungsbescheide bestandskräftig werden, liegt bereits eine Berichtigungspflicht nach Abs. 1 nahe.

Zum Verhältnis der beiden Vorschriften wird vertreten, dass die Pflicht zur Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO durch Abs. 4 verdrängt wird. Demnach müsste der Steuerpflichtige bei Bp.-Findings Berichtigungen – unabhängig von Kenntnis und Unrichtigkeit der Ursprungserklärung – erst mit Eintritt der Bestandskraft durchführen. Richtigerweise dürften die Vorschriften nebeneinander anwendbar sein, ohne dass eine die andere verdrängt, weil sie unterschiedliche Anknüpfungen haben.

Zeitlicher Anwendungsbereich

Eine Bp. löst die Pflichten nach § 153 Abs. 4 AO nur aus, wenn sie Steuern betrifft, die nach dem 31.12.2024 entstanden sind, oder die Bp.-Anordnung nach dem 31.12.2024 ergeht. In diesem Fall sind auch Auswirkungen auf die Steuern, die vor dem 01.01.2025 entstehen, gem. § 153 Abs. 4 AO anzuzeigen.

Was bedeutet das für Unternehmen?

In der Präventivberatung sollte § 153 Abs. 4 AO bis zur Klärung durch Rechtsprechung oder Finanzverwaltung zur Vermeidung von Risiken möglichst weit ausgelegt werden: als kenntnisunabhängige Berichtigungspflicht, die auch vergleichbare Sachverhalte erfasst. In Risikofällen sollte die Berichtigung als (verdeckte) Selbstanzeige ausgestaltet werden.

Die Entstehung der Berichtigungspflicht kann zum einen durch die Anfechtung von Umsetzungsbescheiden vermieden bzw. hinausgezögert werden. Zum anderen könnte in geeigneten Fällen – insbesondere im Rahmen einer Verständigung – festgehalten werden, dass bestimmte Feststellungen nur den Bp.-Zeitraum betreffen und keine Folgerungen nach Abs. 4 AO zu ziehen sind.

Schließlich müssen entsprechende Prozesse in den Tax-CMS-Richtlinien angepasst werden: Betriebsprüfungsberichte sind nach Abschluss einer Bp. auszuwerten – dies ist bereits jetzt der Regelfall; zusätzlich sollten Auswirkungen auf Nicht-Bp.-Zeiträume geprüft werden.

Sie haben Fragen zum Thema? Sprechen Sie uns gerne direkt an.