Strafrecht: Angeklagte und das letzte Wort
Jeder hat das Recht, am Ende eines Verfahrens als Angeklagter im wahrsten Sinne des Wortes das letzte Wort zu haben. Das allerletzte Wort hat allerdings das Gericht. Sinn des Rederechts des Angeklagten ist es, das grundgesetzlich festgeschriebene rechtliche Gehör zu garantieren und es ist Ausfluss der Autonomie auch in seiner Prozessstellung als Angeklagter.
Soweit, so gut, so gefährlich.
Chance und Gefahr des letzten Wortes
Einerseits bildet das letzte Wort gerade in den Fällen, in denen ein Freispruch nicht zu erwarten ist, die Möglichkeit, Einsicht und Akzeptanz zu zeigen. So kann man viel Gutes für die Strafzumessung tun. Genau das Gegenteil ist aber auch möglich. Wenn ein Angeklagter im Rahmen seines letzten Wortes zeigt, dass die Ausführungen seines Verteidigers zur Frage der Strafzumessung – besonders in Hinsicht auf Handlungseinsicht und zukünftiges Wohlverhalten – Makulatur sind, wendet sich die Chance des letzten Wortes in die Gefahr der Verböserung des Strafmaßes.
Schweigeverteidigung und das letzte Wort
Besonders kritisch ist die Auslegung des letzten Wortes im Rahmen einer Schweigeverteidigung. Als Strafverteidiger Mandanten nichts sagen zu lassen, ist oft, insbesondere bei Freispruchverteidigung, das strategische Mittel der Wahl. Wer nicht redet, kann nichts für sich selbst Negatives aussprechen. Er kann so auch nicht bei einer ungeschickten Wortwahl zu seinem Nachteil missverstanden werden. Zu oft habe ich in der Anfangsphase als Strafverteidiger erlebt, dass ein unbedachtes Wort des Angeklagten alle Verteidigungskunst zerstörte. Und das durchaus auch bei Personen, die nach meinem Eindruck völlig unschuldig waren, oder die zumindest nicht durch äußere Indizien, sondern dann nur durch die eigene Aussage verurteilt werden konnten.
Verteidigung ohne das letzte Wort
In den Fällen, in denen der Mandant eine Schweigeverteidigung durchgehalten hat, verbietet sich das letzte Wort. Zu leicht nimmt das Gericht das letzte Wort zum Anlass, wieder in die Hauptverhandlung einzutreten und bei durchbrochener Schweigeverteidigung weiteres Schweigen des Angeklagten gegen ihn zu verwenden. Und die herrschende Rechtsprechung ermöglicht das. Der einzige denkbare und sinnvolle Satz ist der: “Ich bin unschuldig“. Oder bei Strafmaßverteidigung und vorangegangenem Geständnis: „Ich bedauere mein Verhalten“.
Wenn Mandanten reden
Hat sich die Verteidigung dazu entschlossen, Mandanten reden zu lassen, hat sie viel Arbeit vor sich. Für Angeklagte ist der Endpunkt des Verfahrens, in dem er reden kann und darf, ein hoch emotionaler Zeitpunkt. Statistisch gesehen plädiert die Staatsanwaltschaft in 94 Prozent der Fälle auf Schuldspruch. Vielfach brechen in dieser Situation alle Dämme; die Angst, die Frustration, das Bedürfnis alle Anderen und besonders den Richter zu überzeugen, ist übermächtig. Sich in dieser Situation zu kontrollieren, seine Sätze sachlich und nicht im Gegensatz zur einigermaßen sicher festgestellten Sachlage zu formulieren, ist enorm schwierig. Aufgabe der Verteidigung ist es, auf die emotionale Anspannung dieses Momentes vorzubereiten und einen Teil der Angst zu nehmen. Ganz allerdings – so die Erfahrung – wird das nie gelingen. Dazu muss aus meiner Sicht das letzte Wort regelrecht geübt, es muss trainiert werden. Auch das geht nur dann, wenn die angeklagte Person in der Lage ist, sich auf ein Training einzulassen und es innerlich akzeptiert. Dazu gehört, dass das letzte Wort fast wie ein Gedicht gelernt wird und Betroffenen klar ist, dass spontane Formulierungen von Schaden sein können und in den meisten Fällen sein werden.
Letztes Wort nach prozessualer Verständigung
Besonders in den Fällen, in denen nach einer prozessualen Verständigung ein Rahmen für ein Strafmaß gefunden wurde, kann ein ungeschicktes letztes Wort dazu führen, dass das Gericht im Rahmen der einmal abgestimmten Bandbreite eines Strafmaßes eher den oberen Bereich für sein Urteil wählt.
Bei Menschen, die keine starke Selbstkontrolle oder viel überschüssige Emotion haben, ist es immer besser, das letzte Wort mit dem Stereotyp: „Ich schließe mich meiner Verteidigung an“ zu beenden.