Was ist ein Ermittlungsverfahren?

Das Ermittlungsverfahren – auch Vorverfahren genannt – ist der erste Teil eines Straf- oder Bußgeldverfahrens. Ziel ist es, den tatsächlichen Geschehensablauf einer etwaigen Straftat oder Ordnungswidrigkeit zu ermitteln. Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist ein Anfangsverdacht. Doch wie läuft so ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren überhaupt ab? Wir haben es im Folgenden einmal kurz zusammengefasst:

Wann wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet?

Die Staatsanwaltschaft leitet ein Ermittlungsverfahren ein, wenn ein sogenannter „Anfangsverdacht“ einer Straftat besteht (§ 160 Abs. 1 StPO). Dafür muss die Staatsanwaltschaft natürlich erst einmal Kenntnis von genügend tatsächlichen Anhaltspunkten für eine verfolgbare Straftat erlangen (§ 152 Abs. 2 StPO).

Klassischerweise geschieht das durch eine Anzeige des Geschädigten oder aus der Bevölkerung oder durch Beobachtungen von Polizeibeamten und Ordnungskräften. Wenn ein Anfangsverdacht besteht, ist die Staatsanwaltschaft gesetzlich verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten (Legalitätsprinzip).

Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens erfordert keinen förmlichen Akt. Vielmehr beginnt das Ermittlungsverfahren, sobald die Staatsanwaltschaft erste Ermittlungen aufnimmt, z.B. Beweissicherungen oder Zeugenbefragungen.

Richtet sich die Ermittlung gegen eine bestimmte Person, wird diese mit Beginn des Ermittlungsverfahrens zum Beschuldigten. Ist noch nicht klar, wer die mögliche Straftat begangen haben könnte, richtet sich das Ermittlungsverfahren zunächst gegen „Unbekannt“.

Was ist ein Antragsdelikt?

Bei bestimmten Straftaten ist ein Strafantrag (nicht gleichzusetzten mit der Strafanzeige) des Verletzten Voraussetzung für die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen (Antragsdelikte).

Der Strafantrag kann schriftlich bei den Ermittlungsbehörden eingereicht oder bei der Staatsanwaltschaft oder einem Gericht zur Niederschrift gegeben werden. Man unterscheidet zwischen den relativen Antragsdelikten, bei denen die Staatsanwaltschaft lediglich bei „besonderem öffentlichen Interesse“ an der Strafverfolgung ermitteln darf (z.B. bei einfacher Körperverletzung, § 223 StGB) und den absoluten Antragsdelikten, die zwingend einen Antrag des Verletzten erfordern (z.B. Hausfriedensbruch, § 123 StGB).

Wie werden Ermittlungen durchgeführt?

Im Rahmen der Ermittlungen erheben die Ermittlungsbehörden Beweise.

Zu den Ermittlungsbehörden gehören die Staatsanwaltschaft, die Polizei (die Polizei der Länder, die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt), der Zoll und im Bereich des Abgabenrechts die Steuerfahndung.

Typische Maßnahmen zur Erhebung von Beweisen sind die Durchsuchung von Wohnungs- und Geschäftsräumen (die Basics dazu finden Sie hier), Observationen (z.B. § 100h StPO), Telefonüberwachungen (§ 100 a StPO) und die Sicherstellung bzw. Beschlagnahme möglicher Beweismittel (§ 94 StPO). Die Voraussetzungen hierfür sind im Einzelnen in der Strafprozessordnung (StPO) geregelt.

Grundsätzlich gilt: Je intensiver eine Maßnahme in individuelle Rechte des Betroffenen eingreift, desto strenger sind die Voraussetzungen für deren Anordnung. 

Wann kommt ein Beschuldigter in Untersuchungshaft?

Im Falle eines dringenden Tatverdachts und dem Bestehen eines Haftgrundes, kann der Beschuldigte auf richterliche Anordnung (§ 114 StPO) in Untersuchungshaft genommen werden. Dies muss jedoch im Hinblick auf die Schwere der Tat und die erwartete Sanktion verhältnismäßig erscheinen (§ 112 StPO).

Dringender Tatverdacht ist anzunehmen, wenn nach dem aktuellen Ermittlungsstand eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer der Straftat ist.

Ein Haftgrund liegt vor, wenn der Beschuldigte

  • flüchtig ist,
  • sich verborgen hält oder
  • Flucht- oder Verdunkelungsgefahr vorliegt.

Bei bestimmten Delikten aus dem Bereich der Schwerkriminalität kann bereits der nicht auszuschließende Verdacht eines Haftgrundes ausreichen, um bei dringendem Tatverdacht einen Haftbefehl zu begründen (§ 112 Abs. 3 StPO).

Bei bestimmten schweren Straftaten reicht zudem Wiederholungsgefahr für die Annahme eines Haftgrundes aus (§ 112a StPO).

Voraussetzung ist in jedem Fall, dass es bestimmte objektive Tatsachen bzw. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Haftgrundes gibt.

Wer ist Betroffener eines Ermittlungsverfahrens?

Es gibt im Wesentlichen drei Möglichkeiten, wie man von einem Ermittlungsverfahren betroffen sein kann: als Verletzter, Zeuge oder Beschuldigter.

Verletzte

Der Verletzte einer Straftat bringt das Geschehen meist zur Anzeige bei den Strafverfolgungsbehörden.

Zeugen

Zeugen können in der Regel sachdienliche Angaben zum Tatgeschehen machen. Wird man als Zeuge von der Staatsanwaltschaft geladen (egal ob als Geschädigter oder unbeteiligter Zeuge), besteht die Pflicht zur Vernehmung zu erscheinen (§ 161a Abs. 1 S. 1 StPO). Tut man das nicht, kann die Staatsanwaltschaft – sofern die Ladung ordnungsgemäß war – eine zwangsweise Vorführung und/oder ein Ordnungsgeld anordnen und dem Zeugen die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten auferlegen (§ 161a Abs. 2 i.V.m. § 51 StPO).

Als Zeuge ist man zur Auskunft und bei der Aussage der Wahrheit verpflichtet, d.h. man darf nicht lügen und nichts Wichtiges verschweigen (§ 48 Abs. 1 S. 2 StPO, §§ 153, 154 StGB). Wenn sich der Zeuge mit der Antwort auf eine bestimmte Frage selbst belasten müsste, darf der Zeuge schweigen, indem er von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch macht (§ 55 StPO). Dieses Recht besteht bereits im Falle der Gefahr einer Selbstbelastung. Alle übrigen Fragen müssen aber weiterhin wahrheitsgemäß beantwortet werden.

Ein umfassendes Schweigerecht haben Zeugen nur im Falle eines Zeugnisverweigerungsrechts (§§ 52ff. StPO). Davon können insbesondere Verlobte und Ehepartner eines Beschuldigten sowie weitere Verwandte und Verschwägerte Gebrauch machen. Auch nach einer Scheidung besteht das Zeugnisverweigerungsrecht für die ehemaligen Ehegatten fort (§ 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO). Andere zeugnisverweigerungsberechtigte Personen sind Berufsgeheimnisträger wie Ärzte, Rechtsanwälte (inkl. Strafverteidiger) und Geistliche.

Der Zeuge kann sich für die Vernehmung dem Beistand eines Rechtsanwalts bedienen. Dieser hilft Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrechte zu überblicken und schützt den Zeugen vor einer fahrlässig selbstbelastenden Aussage.

Beschuldigte

Nach überwiegender Auffassung wird ein Verdächtiger zum Beschuldigten, wenn gegen ihn wegen des Verdachts einer Straftat mit Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörden (Inkulpationsakt) als Beschuldigter ermittelt wird.

Wird zum Beispiel ein dringend Tatverdächtiger von Beamten der Polizei vernommen, müssen sie ihn darüber aufklären, dass er oder sie als Beschuldigter vernommen wird. Nach dem Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare steht es dem Beschuldigten frei, ob er sich zur Sache einlässt oder nicht (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO). Darüber ist er bei einer Vernehmung oder Festnahme stets aufzuklären. Zudem darf sich der Beschuldigte in jeder Lage des Verfahrens eines Strafverteidigers bedienen.

Abschluss des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens

Es gibt im Wesentlichen drei Handlungsmöglichkeiten für die Staatsanwaltschaft ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren zu beenden:

Erhebung der öffentlichen Klage

Erhärtet sich der Anfangsverdacht zu einem hinreichenden Tatverdacht, d.h. ist eine Verurteilung des Beschuldigten wahrscheinlicher als ein Freispruch, erhebt die Staatsanwaltschaft die öffentliche Klage (oftmals auch Anklage genannt, § 170 Abs. 1 StPO).

In der Anklageschrift nennt die Staatsanwaltschaft den Tatvorwurf und die erhobenen Beweismittel und reicht sie mit dem Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens beim zuständigen Gericht zusammen mit den Ermittlungsakten ein. Mit Eingang der Anklageschrift bei Gericht ist die Anklage erhoben. Es beginnt dann das Zwischenverfahren, in dem das Gericht prüft, ob das Hauptverfahren zu eröffnen ist. Mit Beginn des Zwischenverfahrens wird der Beschuldigte begrifflich zum „Angeschuldigten“ (§ 157 StPO).

Antrag auf Erlass eines Strafbefehls

Richtet sich der Tatverdacht auf ein Vergehen und ist eine Hauptverhandlung aufgrund der eindeutigen Beweislage nicht erforderlich, kann die Staatsanwaltschaft beim zuständigen Gericht einen Strafbefehl beantragen (§ 407 StPO). Stehen dem Erlass des Strafbefehls keine Bedenken entgegen, hat das Gericht den Strafbefehl zu erlassen (§ 408 Abs. 3 Satz 1 StPO). Die Schuld des Täters muss dabei nicht zur Überzeugung des Gerichts feststehen, sondern es genügt ein hinreichender Tatverdacht (§ 408 Abs. 2 StPO). Als Rechtsfolgen der Tat kommen insbesondere Geldstrafe, Fahrverbot und Einziehung in Betracht. Freiheitsstrafen können nur bis zu einem Jahr festgesetzt werden, wenn der Angeschuldigte einen Verteidiger hat und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird (§ 407 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Einstellung des Verfahrens

Die Staatsanwaltschaft stellt das Ermittlungsverfahren ein, wenn kein hinreichender Tatverdacht gegen den Beschuldigten vorliegt (§ 170 Abs. 2 StPO), zum Beispiel weil ihm keine Beteiligung an einer Straftat nachgewiesen werden kann, die Tat bereits verjährt ist oder ein notwendiger Strafantrag fehlt.

Der Anzeigenerstatter wird über die Einstellung des Verfahrens informiert. Ist dieser durch die (angebliche) Straftat in seinen Rechten verletzt worden, kann er binnen zwei Wochen nach Bekanntmachung Beschwerde gegen den Einstellungsbeschluss einlegen (§ 172 Abs. 1 StPO). Im Fall der Nichtabhilfe kann der Verletzte unter Beiziehung eines Rechtsanwalts ein Klageerzwingungsverfahren beantragen (§ 172 Abs. 2 und 3 StPO). Im Erfolgsfall muss die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen dann wieder aufnehmen.

Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens ist auch aus Opportunitätsgründen möglich (§§ 153ff. StPO). Das ist insbesondere bei einer hypothetisch anzunehmenden geringen Schwere der Schuld und fehlendem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung der Fall (§ 153 StPO).

Besteht dagegen ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung, welches indes durch Auflagen oder Weisungen an den Beschuldigten beseitigt werden kann, besteht die Möglichkeit das Verfahren nach Erfüllung von Auflagen und Weisungen einzustellen (§ 153a StPO). Dazu gehören z.B. Wiedergutmachungsleistungen an den Verletzten, Geldzahlungen an eine gemeinnützige Einrichtung oder die Teilnahme an einem Verkehrsseminar.

Ausblick

Erhebt der Staatsanwaltschaft Anklage, geht das Verfahren in das nächste Stadium über: das Zwischenverfahren. Wie das abläuft und welchen Zweck es verfolgt, ist Teil des nächsten Beitrags unserer Basics-Reihe.

Sie haben Fragen zum Thema? Sprechen Sie uns gerne direkt an.

Katharina Hagedorn ist LL.M.-Studentin an der University of Cape Town (Südafrika). Nach erfolgreichem Abschluss ihres rechtswissenschaftlichen Studiums an der Universität Münster war sie von August 2021 bis Januar 2022 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Wessing & Partner.