Europäische Staatsanwaltschaft – eine erste Bilanz

Die Europäische Staatsanwaltschaft, das European Public Prosecutor’s Office (EPPO), hat am 1. Juni 2021 ihre Tätigkeit aufgenommen. Zuständig ist sie für die Ermittlung von Straftaten die in den Mitgliedsstaaten zum Nachteil finanzieller Interessen der EU begangen werden (siehe hierzu Blogbeitrag). Nun hat das EPPO den ersten Lagebericht zum Geschäftsjahr 2021 veröffentlicht. Wie die Verfahren des Jahres aussahen, welche Erfolge verzeichnet wurden und welchen Herausforderungen sich das EPPO ausgesetzt sieht, fassen wir im folgenden Beitrag zusammen.

Was hat das EPPO 2021 erreicht?

Insgesamt sind beim EPPO im letzten Jahr 2.832 Strafanzeigen eingegangen, meist von nationalen Behörden oder Privatpersonen. In 576 Fällen leitete das EPPO Ermittlungen ein; davon waren gegen Ende des Jahres noch 515 Fälle aktiv.

Das erste Urteil in einem EPPO-Verfahren sprach am 22. November 2021 ein Gericht für Strafsachen in der Slowakei, das einen ehemaligen Bürgermeister wegen versuchten Subventionsbetrugs zu Lasten der finanziellen Interessen der EU zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilte und ihm ein fünfjähriges Berufsverbot auferlegte.

In zwölf Mitgliedsstaaten erwirkte das EPPO insgesamt 81 Einziehungsentscheidungen. Insgesamt wurden bislang 147 Millionen Euro eingezogen. Zum größten Teil wurden Vermögenswerte wie Bankkonten, Immobilien, Aktien und Luxusgüter eingezogen. Aber auch Tabak und Lebensmittel in einem geschätzten Wert von 17 bzw. 12 Millionen Euro waren darunter.

EPPO-Verfahren in Deutschland

In Deutschland kam der Großteil der 92 eingegangen EPPO-Strafanzeigen von nationalen Behörden; lediglich drei stammen von Privatpersonen. Diese haben die Möglichkeit, eine Straftat auf der Webseite des EPPO über das Ausfüllen eines Online-Formulars anzuzeigen.

In 58 Fällen hat das EPPO ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, davon sind 54 Verfahren noch aktiv. In zwei Verfahren wurden Anklagen vor einem deutschen Gericht erhoben. Infolge der Ermittlungen des ersten EPPO-Verfahrens in Deutschland, die ein sog. Umsatzsteuerkarussell zum Gegenstand hatten, wurden sechs Verdächtige verhaftet und Beschlagnahmungen im Wert von 23 Millionen Euro durchgeführt. Beteiligt waren Unternehmen aus Tschechien, Rumänien und der Slowakei, während die verfolgten Taten hauptsächlich in Hamburg begangen worden sein sollen. Am 5. April 2022 wurde ein Angeklagter durch das Landgericht München I zu drei Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt und 17.000 Euro eingezogen. Insgesamt kam es laut Jahresbericht in Deutschland im Jahr 2021 im Übrigen zu Einziehungsentscheidungen in Höhe von 58,5 Millionen Euro.

Zudem gab es mehrere Ermittlungsmaßnahmen mit deutscher Beteiligung. Beispielsweise kam es Anfang August 2021 zu grenzüberschreitenden Durchsuchungen in Deutschland, den Niederlanden, der Slowakei, Bulgarien und Ungarn wegen des Verdachts eines grenzüberschreitenden Umsatzsteuerbetrugs im großen Umfang. Nach Auskunft des die Ermittlungen leitenden Staatsanwalts wäre eine solche Durchsuchung in der Kürze der Zeit ohne das EPPO nicht möglich gewesen.

Welche Straftaten verfolgte das EPPO?

Das EPPO ist zuständig für die Verfolgung von Straftaten zum finanziellen Nachteil der EU. Die einzelnen Straftaten sind in der PIF-Richtlinie (EU) 2017/1371 genauer definiert. Sie umfasst insbesondere den Vorwurf der Steuerhinterziehung im Bereich der Umsatzsteuer bei Steuerschäden oberhalb von 10 Millionen Euro. Der Jahresbericht zeigt, welche Arten von Straftaten am häufigsten in den Ermittlungen des EPPO identifiziert wurden:

Der größte Teil der Ermittlungen befasste sich mit Betrugstaten, die nicht im Zusammenhang mit einer Auftragsvergabe standen und unter Verwendung oder Vorlage falscher, unrichtiger Dokumente oder Untreue zu Lasten des Unionshaushalts erfolgten (31,8 Prozent). Insbesondere Subventionsbetrug in Bezug auf landwirtschaftliche EU-Subventionen oder Betrugstaten im Zusammenhang mit Covid19 zählten dazu. Etwas geringer fiel dagegen die Ermittlungsquote in Bezug auf den sog. Beschaffungsbetrug aus, der 11,7 Prozent der Fälle ausmachte. Typisch dafür waren beispielsweise falsche Angaben bei öffentlichen Ausschreibungen.

Umsatzsteuerbetrug war mit 17,6 Prozent ebenfalls breit vertreten. Darunter fällt zum Beispiel das bereits erwähnte Umsatzsteuerkarussell oder Betrug durch sog. „missing trader“. Dabei handelt es sich in der Regel um Scheinunternehmen, die als zwischengeschalteter Warenempfänger die Umsatzsteuer nicht an das Finanzamt abführen, die Ware allerdings zuzüglich Umsatzsteuer weiterverkaufen. Sobald das Finanzamt dann versucht, die Umsatzsteuern einzutreiben, verschwindet das Scheinunternehmen.

Sonstige Betrugstaten machen 13,4 Prozent der EPPO-Ermittlungen aus. Dabei handelt es sich häufig um Betrug im Bereich des Warenhandels – beispielsweise mit Tabak, elektronischen Geräten, Fahrrädern oder Ersatzteilen.

Ermittlungen wegen Geldwäsche spielten eine recht geringe Rolle (4,7 Prozent der Fälle); ebenso Korruptionstaten (4 Prozent).

Zuständigkeiten beim EPPO

Das Kollegium des EPPO bildet das Leitungsgremium. Es besteht derzeit aus der Europäischen Generalstaatsanwältin und 22 Staatsanwälten aus den teilnehmenden Mitgliedsstaaten. Fünf EU-Mitgliedsländer, nämlich Ungarn, Irland, Polen, Schweden und Dänemark, nehmen aktuell nicht teil. Das Kollegium kümmert sich im Wesentlichen um die administrativen sowie finanziellen Angelegenheiten des EPPO. Im letzten Jahr trat das Kollegium insgesamt 34-mal zusammen.

Die Ständigen Kammern sind für die Überwachung und die Leitung der Ermittlungen durch die auf nationaler Ebene tätigen Delegierten Europäischen Staatsanwälte zuständig. In insgesamt 29 Fällen wurden die Delegierten Europäischen Staatsanwälte von den Ständigen Kammern angewiesen, die Kompetenz des EPPO auszuüben. Zudem wurden in den teilnehmenden Mitgliedstaaten 95 Delegierte Europäische Staatsanwälte rekrutiert, davon entfallen elf auf Deutschland in aktuell fünf Länderzentren, nämlich in Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln und München.

Zusammenarbeit mit EPPO-Partnern

Das EPPO arbeitet eng mit anderen Organen und Behörden der EU sowie internationalen Organisationen und Nichtmitgliedsstaaten zusammen. Dazu zählt u.a. das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), das komplementär als Auswertungs- und Ermittlungsbehörde auf verwaltungsrechtlicher Ebene eingebunden werden kann. Im Jahr 2021 hat OLAF 171 Strafanzeigen an das EPPO weitergeleitet; in 89 Fällen kam es daraufhin zu einem Verfahren bei der EPPO.

Bilanz nach den ersten Monaten

Das EPPO selbst zieht eine positive Bilanz aus den ersten Monaten. Laut Andrés Ritter, dem stellvertretenden Europäischen Generalstaatsanwalt, läuft die Arbeit des EPPO „sehr gut“. Er sieht lediglich die Zusammenarbeit mit einzelnen Mitgliedsstaaten als bleibende Herausforderung. Auch die Europäische Generalstaatsanwältin, Laura Kövesi, sei sich bewusst, dass die Tätigkeitsaufnahme viele Veränderungen mit sich gebracht habe und Eingewöhnungszeit brauche. Sicher sei jedoch, dass die Hauptziele des EPPO, eine bessere und effektivere Strafverfolgung insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten sowie eine bessere Einziehung illegaler Vermögenswerte auch im Jahre 2022 ermöglicht werde.

Verteidigung in EPPO-Verfahren

Die Verteidigung in EPPO-Verfahren weist verschiedene Besonderheiten auf. Dies beginnt mit der Akteneinsicht in die Akte des nationalen Ermittlungsverfahrens neben der Akteneinsicht in die zentral geführte EPPO-CMS-Akte.

Anspruchsvoll gestalten sich die EPPO-Verfahren im Bereich von grenzüberschreitenden Steuerstrafverfahren, insbesondere im Bereich der Umsatzsteuer und dem in diesem Zusammenhang häufig (und gern genutzten) Vorwurf des Umsatzsteuerkarussels.

Die Erfahrung in ersten EPPO-Verfahren zeigt jedoch auch, dass proaktive Kommunikation mit EPPO bzw. dem Delegierten Europäischen Staatsanwalt und OLAF als Co-Ermittlungsbehörde neben den nationalen Ermittlungsbehörden im Sinne aktiver und konstruktiver Verteidigung sinnvoll ist.

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