Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen bei drohender Strafverfolgung im Ausland

Muss ein Zeuge aussagen, wenn er sich hierdurch in die Gefahr begibt, wegen einer Straftat im Ausland verfolgt zu werden? Und darf ein Zeuge die Auskunft verweigern, wenn er durch seine Aussage im Inland Gefahr läuft, ausländische Strafvorschriften zu verletzen? Diesen Fragen widmet sich der folgende Beitrag.

Für Zeugen gilt die Selbstbelastungsfreiheit

Anders als Beschuldigte unterliegen Zeugen bei Vernehmungen der Aussage- und Wahrheitspflicht (§§ 57, 70 StPO). Auch ein Zeuge muss aber nicht an seiner eigenen Überführung mitwirken. Daher hat jeder Zeuge bei polizeilichen, staatsanwaltschaftlichen und richterlichen Vernehmungen das Recht, die Auskunft auf solche Fragen zu verweigern, die ihn oder einen Angehörigen der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden (§§ 55 Abs. 1, 161a Abs. 1 Satz 2, 163 Abs. 3 Satz 1 StPO). Damit wird dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit Rechnung getragen (nemo tenetur se ipsum accusare).

Drohende Strafverfolgung im Ausland begründet Auskunftsverweigerungsrecht

Das Auskunftsverweigerungsrecht gilt nach herrschender Auffassung auch dann, wenn ein Zeuge bei der Beantwortung von Fragen in die Gefahr gerät, im Ausland wegen einer vor der Vernehmung begangenen Handlung strafrechtlich verfolgt zu werden (so etwa Bader in KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 55 Rn. 9).

Der BGH hat diese Auffassung in einer Entscheidung aus dem Jahr 2019 mit deutlichen Worten bestätigt. Er hat einem Zeugen ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zugebilligt, gegen den im Ausland strafrechtlich ermittelt wurde (BGH, Beschl. v. 27.03.2019 – 4 StR 541/18, NStZ 2019, 539).  Zur Begründung verwies der BGH auf den Wortlaut des § 55 StPO, dem keine Beschränkung auf eine drohende inländische Verfolgung zu entnehmen sei, sowie ihren Sinn und Zweck, den Zeugen vor selbstbelastenden Angaben zu schützen.

Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Denn es widerspräche dem Telos der Vorschrift, wenn ein Zeuge an seiner eigenen Überführung mitwirken müsste. Da die für das Auskunftsverweigerungsrecht maßgebliche psychische Zwangslage des Zeugen unabhängig davon besteht, ob die Strafverfolgung im In- oder Ausland droht, muss ihm ein Auskunftsverweigerungsrecht folgerichtig auch bei einer drohenden Strafverfolgung im Ausland zustehen.

Kein Auskunftsverweigerungsrecht, wenn Zeugenaussage ausländische Strafvorschriften verletzen könnte

Anders wird nach herrschender Meinung die Frage beurteilt, ob das Auskunftsverweigerungsrecht auch dann gilt, wenn der Zeuge erst durch seine Aussage in die Gefahr gerät, gegen ausländische Strafvorschriften zu verstoßen, z. B. weil seine Angaben die Strafnormen zum Schutz des Bankgeheimnisses in der Schweiz oder in Luxemburg verletzen. Ein dahingehendes Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen wird von der Rechtsprechung unter Verweis auf die Funktionsfähigkeit der inländischen Rechtspflege mehrheitlich abgelehnt (so etwa LG Stuttgart, NStZ 1992, 454; vgl. auch AG Köln, NStZ 2014, 119).

Kritik an der herrschenden Meinung

Diese Auffassung ist abzulehnen. Wenn der Zeuge durch seine Aussage in die konkrete Gefahr gerät, gegen Strafbestimmungen eines anderen Staates zu verstoßen, muss ihm ein Auskunftsverweigerungsrecht zustehen. Denn die seelische Zwangslage des Zeugen, der durch die Aussagepflicht zum Rechtsbruch gedrängt wird, wiegt qualitativ schwerer als der auf ihm lastende Druck, an seiner eigenen Verfolgung mitzuwirken (Lenk/Glöckle, StV 2020, 484, 488; ebenso i. Erg. LG Freiburg, NJW 1986, 3036).

Zwar ließe sich einwenden, dass die bestehende Aussagepflicht des Zeugen vor der deutschen Justiz einen Rechtfertigungsgrund darstellt (Pflichtenkollision), der die Rechtswidrigkeit einer tatbestandsmäßigen Handlung entfallen lässt. Im Unterschied zu reinen Inlandssachverhalten, wo man diese Argumentation noch nachzuvollziehen vermag, kann die Annahme, dass die in Deutschland bestehende Aussagepflicht des Zeugen auch im Ausland als Rechtfertigungsgrund anerkannt wird, aber nicht ernsthaft überzeugen. Es bestehen insoweit erhebliche Zweifel, dass die ausländischen Strafverfolgungsbehörden das Verfahren automatisch einstellen und der Funktionsfähigkeit der deutschen Rechtspflege höheres Gewicht beimessen, als den von ihrer jeweiligen Strafrechtsordnung geschützten Rechtsgütern.

Besteht die Gefahr, dass der Zeuge durch seine Aussage gegen ausländische Strafvorschriften verstößt, ist die deutsche Justiz daher zur Prüfung gehalten, ob das ausländische Strafgesetz im Einzelfall anwendbar ist und die Aussage den Zeugen der konkreten Gefahr einer Strafverfolgung im Ausland zuzieht. Ist dies der Fall, muss dem Zeugen ein Auskunftsverweigerungsrecht zugebilligt werden (ebenso Lenk/Glöckle, StV 2020, 484, 488).

Zusammenfassung

Im Ergebnis garantiert das verfassungsrechtlich verbürgte Recht der Selbstbelastungsfreiheit, dem Zeugen ein Auskunftsverweigerungsrecht, wenn er sich durch seine Aussage in die Gefahr begibt, wegen einer bereits begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit im Ausland verfolgt zu werden.

Will man den Zeugen nicht in einen Interessenkonflikt zwischen Aussagepflicht auf der einen Seite und einer Strafbarkeit im Ausland auf der anderen Seite drängen, muss dem Zeugen gegen die herrschende Ansicht das Aussageverweigerungsrecht auch dann zugestanden werden, wenn er erst durch seine Aussage im Inland Gefahr läuft, ausländische Strafvorschriften zu verletzten.

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