10 Kardinalirrtümer in (Arzt-)Strafverfahren

  1. „Mir wird schon nichts passieren“

Über Medizinern hängt das Damokles-Schwert, als Beschuldigter in einem Strafverfahren zu landen. Regelmäßige Vorwürfe: fahrlässige Tötung oder Abrechnungsbetrug. Das Risiko kann sich in jeder Phase eines Berufslebens realisieren. Grund ist, dass die Hürde für die Einleitung eines Strafverfahrens relativ niedrig ist. Es genügt ein Anfangsverdacht. D.h.: Es muss nach kriminalistischer Erfahrung die Möglichkeit bestehen, dass eine verfolgbare Straftat begangen wurde. Dafür reicht bereits die Strafanzeige eines Patienten mit dem Vorwurf, vor einer Operation nicht richtig aufgeklärt worden zu sein. Der Kreis der Beschuldigten wird gerade zu Beginn eines Verfahrens im Zweifel eher großgezogen.  Ausschlaggebend kann schon der Dienstplan sein, der eine Beteiligung am Behandlungsgeschehen dokumentiert. Doch auch „patientenferne Entscheider“ wie Geschäftsführer oder kaufmännische Leiter geraten immer wieder in den Fokus der Ermittlungsbehörden. Fakt ist, dass auch Unschuldige relativ schnell von einem Ermittlungsverfahren betroffen sein können.

  1. „Beschwerden von Patienten? Na und?“

Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist absehbar, wenn Beschwerden oder kritische Nachfragen von Patienten, Behörden und Kostenträgern nicht ernst genommen oder ignoriert werden. Ein fataler Fehler, den MedizinerInnen noch immer unterschätzen. Eine professionelle Kommunikation, die empathisch und auf Problemlösung ausgerichtet ist, kann juristische Eskalation verhindern. Wer nicht kommuniziert, arrogant oder abwertend auf PatientInnen reagiert, bekommt weitaus schneller ein Problem.

  1. „Wir sind Ärztinnen und Ärzte und keine Bürokraten“

Ärzte jeden Geschlechts beklagen einen hohen Verwaltungsaufwand. Das kann man sehr gut nachvollziehen – menschlich. Aber: Diese Kritik darf nicht zu einer unzureichenden Behandlungsdokumentation führen. Das wäre ein echter Fehler, der fatale Folgen haben kann: Eine detaillierte Dokumentation wirkt im Krisenfall wie eine Versicherung. Sie ermöglicht die Rekonstruktion des Behandlungsgeschehens, an das sich alle Beteiligten schon nach kurzer Zeit nicht mehr präzise erinnern. Ohne eine aussagekräftige Dokumentation geraten die Behandelnden in Beweisprobleme, wenn z.B. Patienten die Durchführung bestimmter Maßnahmen bestreiten und auch die Zeugenaussagen kein klares Bild ergeben. Der damit verbundene Ärger kann vermieden werden, wenn die Dokumentation als wichtiger Teil der medizinischen Arbeit empfunden wird.

  1. „Ich bin unschuldig – ich brauche keinen Anwalt“

Die Polizei verschickt eine Vorladung zu einer Beschuldigtenvernehmung: Es kommt immer wieder vor, dass Ärzte jeden Geschlechts dieser Aufforderung folgen, ohne zuvor auch nur mit einem Anwalt gesprochen zu haben. Dahinter steckt der Glaubenssatz ich regele das schon alleine mit der Polizei, schließlich habe ich mir nichts vorzuwerfen“. Ein fataler Fehler und oft ein Quell unnötiger Probleme. Es wäre ein Kunstfehler, sein Heil in einer solchen „Selbst-Vertretung“ zu suchen. Wer sich nicht professionell mit Vernehmungen beschäftigt, kennt ihre Spielregeln nicht. Eine Vernehmung ist kein „normales Gespräch“, bei dem man Ihnen alles glaubt. Die Situation einer polizeilichen Befragung erzeugt Stress und Unsicherheit. Die Vernehmungsbeamten sind in Vernehmungstechniken geschult, verfügen aber i.d.R. über keine medizinische Vorbildung. Infolgedessen kann es leicht zu missverständlichen oder falschen Aussagen bzw. Protokollen kommen, die sich später nur schwer korrigieren lassen. Eine gute Verteidigung kann nur funktionieren, wenn der Tatvorwurf und die Beweismittel bekannt sind, auf die sich der Vorwurf stützt.

Sie haben eine Vorladung zur Beschuldigtenvernehmung bekommen? Wir raten Ihnen: Nehmen Sie das nicht auf die leichte Schulter. Und denken Sie daran: Als Beschuldigter sind Sie nicht zur Aussage verpflichtet.

  1. „Mein Freund ist Fachanwalt für Erbrecht. Der schaut da mal drüber…“

Kein Arzt würde eine komplizierte Augenoperation von einem befreundeten Radiologen durchführen lassen. Der Grund ist klar: Das Ergebnis wird sicher nicht gut. Dieses Bewusstsein fehlt Medizinern mitunter gerade dann, wenn es um die Spezialmaterie Medizin-Strafverfahren geht. Es kommt immer wieder vor, dass sich Ärzte durch einen befreundeten oder benachbarten Rechtsanwalt vertreten lassen, der weder auf das Strafrecht noch auf Medizinrecht spezialisiert ist. Sich in Krisensituationen Hilfe bei Personen zu suchen, die einem nahestehen, ist zwischenmenschlich nachvollziehbar. In Medizinstrafverfahren führt die Auswahl „Fachfremder“ allerdings regelmäßig dazu, dass die Heilberufsangehörigen nicht bestmöglich vertreten werden. Wer in Medizinstrafverfahren optimal verteidigt werden will, ist bei einem Medizinstrafrechtler genauso gut aufgehoben, wie der Meniskusriss beim Orthopäden oder in der Unfallchirurgie.

  1. „Spezial-Strafrechtsschutz-Versicherung als Arzt? Unnötig!“

Geiz ist nicht immer geil! Im Gegenteil. Wenn an der falschen Stelle gespart wird, kann das zu massiven wirtschaftlichen und psychischen Belastungen führen. Strafverfahren sind in der Regel lang und emotional aufreibend.  Die Aufarbeitung der Ermittlungsakte, die Auseinandersetzung mit einem oder mehreren Sachverständigengutachten, die Erstellung von Stellungnahmen und die Koordination außerstrafrechtlicher Aspekte braucht viel anwaltliche Zeit. Mittlerweile arbeiten alle spezialisierten Anwältinnen und Anwälte im Medizinstrafrecht auf der Grundlage von Honorarstundensätzen. So können erhebliche Verteidigungskosten entstehen. Diese Kosten können durch eine Spezial-Strafrechtsschutz-Versicherung abgedeckt werden. Es kommt u.a. darauf an, ob die Versicherung auf Fahrlässigkeitsdelikte beschränkt ist oder weiter geht und auch Vorsatztaten erfasst. Der Versicherungsschutz sollte die Vereinbarung individueller Vergütungssätze zulassen und nicht auf die Gebühren des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes beschränkt sein, sonst kommen Sie im Zweifel nicht weit.

  1. „Schnell noch etwas vernichten“

Die Einflussnahme auf Zeugen und die Vernichtung von Beweismitteln sind klassische Gründe für die Anordnung von Untersuchungshaft. Gedanken wie: „Ich sage meinen Praxismitarbeitern, was sie der Polizei erzählen sollen“ oder „belastende Dokumente schreddre ich rechtzeitig“ sind brandgefährlich. Auch an eine Art „Loyalität“ zu glauben, wenn die Polizei vor der Tür steht oder zur Vernehmung geladen hat, ist eine romantische Vorstellung. Wenn Sie als Ärztin oder Arzt in den Fokus von Ermittlungsbehörden geraten, wappnen Sie sich professionell.

  1. „Gegen das Gutachten eines Sachverständigen kann man nicht viel machen“

Sachverständigen-Gutachten spielen eine zentrale Rolle, wenn es um den Vorwurf von strafbaren Behandlungsfehlern geht. Wenn ein Gutachten zu dem Ergebnis kommt, dass ein solcher Fehler gemacht wurde, ist das die Veranlassung zu besonders akribischer Arbeit. Es kommt z.B. vor, dass Gutachtern relevante Aktenbestandteile nicht vorgelegt wurden. Ein klassisches Beispiel ist, dass nur die schriftliche Behandlungsakte beschlagnahmt wurde, nicht jedoch die digitale Dokumentation. Denkbar ist auch, dass der Gutachter einer anderen Facharztrichtung und/oder einer Versorgungsform angehört und deshalb nicht mit der spezifischen Stellung des Beschuldigten vertraut ist. Die Aufgabe des Verteidigers ist es, Fehler und Unzulänglichkeiten bei der Gutachtenerstattung zu suchen und die Sinnhaftigkeit eines eigenen Gutachtens zu prüfen.

  1. „Wer zahlt, gilt als schuldig“

Eine gute Nachricht: Strafverfahren gehen irgendwann zu Ende. Die Frage nach der Art und Weise der Beendigung stellt sich oft erst, nachdem die Verteidigungsstellungnahme eingereicht wurde. Es kommt vor, dass die Staatsanwaltschaft darauf mit dem Angebot reagiert, das Ermittlungsverfahren nach § 153a StPO zu beenden. Bei dieser Einstellung muss der Arzt eine bestimmte Auflage erfüllen, um das öffentliche Interesse an der weiteren Strafverfolgung zu beseitigen. Als Auflage wird zum Beispiel die Zahlung eines Geldbetrages an eine gemeinnützige Einrichtung festgelegt. Von vielen Ärztinnen und Ärzten wird diese Variante einer Verfahrenseinstellung spontan abgelehnt. Sie halten sie für ein Schuldanerkenntnis. Das ist ein Irrglaube! Es erfolgt keine formale Schuldfeststellung – der Beschuldigte gilt trotz Zahlung weiterhin als unschuldig. Unabhängig davon muss in jedem Einzelfall sorgfältig abgewogen werden, ob man das Angebot einer Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO annimmt. Die Chancen und Risiken sind genau unter die Lupe zu nehmen.

  1. „Das Beste ist immer ein Freispruch“

Ein Freispruch in einer Hauptverhandlung ist eine statistische Seltenheit. Als um jeden Preis zu erreichendes Ziel taugt er kaum. Wenn es möglich ist, sollte die Hauptverhandlung vermieden werden. Wenn ein Richter die Anklage der Staatsanwaltschaft zur Hauptverhandlung zugelassen hat, bekundet er damit, dass er aufgrund der aktuellen Beweislage eine Verurteilung für wahrscheinlicher hält als einen Freispruch. Auch bei der Wahl des besten Verteidigers gibt es keine Garantie dafür, dass der Richter während des Prozesses seine Auffassung ändert. Der Verlauf des Gerichtsprozesses ist nicht vorhersehbar. Der Ausgang ist nur schwer zu kalkulieren. Außerdem finden die Hauptverhandlungen öffentlich statt. In Fällen mit Arztbeteiligung sind sie oft auch durch eine mediale Berichterstattung begleitet, die es zu vermeiden gilt.

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