Abrechnungsbetrug

Abrechnungsbetrug wegen Aufklärungspflichtverletzung?

Bekannt ist: Wenn Ärzte ihre Aufklärungspflichten gegen über den Patienten verletzen, droht ihnen im Zweifel ein Strafverfahren wegen (fahrlässiger) Körperverletzung. Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit zwei Entscheidungen (Urteil vom 8. Oktober 2019 – B 1 KR 3/19 R; Urteil vom 19. März 2020 – B 1 KR 20/19 R) den Nährboden für einen weiteren Strafbarkeitsvorwurf bereitet, der die meisten Ärzte überraschen dürfte: den des Abrechnungsbetrugs.

Kein Vergütungsanspruch bei rechtswidriger Behandlung

Das Bundessozialgericht hat in den Entscheidungen klargestellt, dass Krankenhäusern gegenüber Krankenkassen kein Vergütungsanspruch zusteht, wenn die Behandlung rechtswidrig erfolgt ist. Damit eine Behandlung rechtmäßig ist, müsse insbesondere die vorherige Einwilligung des Patienten vorliegen (vgl. bereits BSG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – B 1 KR 70/12). Diese setze wiederum eine ordnungsgemäße Aufklärung voraus. Fehle es an einer solchen Aufklärung, sei eine Einwilligung nicht wirksam und die Behandlung dementsprechend rechtswidrig. Aufklärungsfehler führten mithin dazu, dass kein Vergütungsanspruch entstehe. Ob die Behandlung medizinisch geboten sei, darauf komme es in diesem Fall nicht an. Ebenso unbeachtlich sei es, ob die Behandlung lege artis durchgeführt worden ist.

Das BSG hat im Rahmen der vorstehenden Ausführungen zudem einen Zusammenhang zwischen der Aufklärung und dem Wirtschaftlichkeitsgebot betont:

„Das Wirtschaftlichkeitsgebot erfordert, dass der Versicherte die Entscheidung für die Inanspruchnahme der Leistung auf der Grundlage von ausreichenden Informationen trifft. Die Aufklärung muss dem Versicherten die Spanne denkbarer Entscheidungen aufzeigen, so dass ihm Für und Wider der Behandlung bewusst sind und er Chancen und Risiken der jeweiligen Behandlung selbstbestimmt abwägen kann. Denn im Sachleistungssystem entscheidet letztlich der Versicherte, ob er die ihm ärztlich angebotene, medizinisch notwendige Leistung abruft.“ (Urteil vom 19. März 2020 – B 1 KR 20/19 R)

Wie hängen diese Ausführungen nun mit einer Strafbarkeit wegen Betrugs zusammen?

Täuschung über Tatsachen, irrtumsbedingte Vermögensverfügung

Die Eingangsvoraussetzung des Betrugstatbestandes ist eine Täuschung über Tatsachen. An dieser Stelle ist der Erklärungsgehalt von Abrechnungen gegenüber Krankenkassen entscheidend. Mit der Abrechnung gegenüber der Krankenkasse erklärt der Arzt, dass der geltend gemachte Anspruch sozialrechtlich tatsächlich besteht. Ist dies infolge einer Aufklärungspflichtverletzung nicht der Fall, kann in der Abrechnung eine Täuschung über Tatsachen liegen. Erfolgt eine Auszahlung auf der Grundlage dieser Abrechnung, liegt auch eine irrtumsbedingte Vermögensverfügung vor. Damit ist auch die weitere Voraussetzung des objektiven Tatbestandes erfüllt.

Vermögensschaden

Hinzukommen muss ein Vermögensschaden. Diese Voraussetzung dürfte für Strafverfolgungsbehörden keine allzu hohe Hürde darstellen. Hintergrund für diese Einschätzung ist die (zu Recht kritisierte) streng formale Betrachtungsweise des Betrugsschadens. Denn die Vergütung einer Behandlung begründet danach bereits einen Schaden, wenn diese aus formal-sozialrechtlichen Gründen nicht erstattungsfähig ist. Dies gilt selbst dann, wenn die ärztliche Maßnahme lege artis durchgeführt wurde und objektiv geboten war. Das Bundessozialgericht hat klargestellt, dass der sozialrechtliche Vergütungsanspruch von einer ordnungsgemäßen Aufklärung abhängt. Zudem hat das Bundessozialgericht die Aufklärung als Erfordernis des Wirtschaftlichkeitsgebots bezeichnet. Die Aufklärung hat damit zugleich eine materiell-rechtliche und eine formal-sozialrechtliche Aufgabe. Hierauf werden sich Vertreter der streng formalen Betrachtungsweise stützen, um einen Schaden zu begründen.

Vorsätzliches Handeln mit Bereicherungsabsicht

Ob ein strafbarer Betrug vorliegt, hängt weiterhin davon ab, ob ein vorsätzliches Handeln des Abrechnenden vorliegt. Zudem muss dieser mit der Absicht rechtswidriger Bereicherung handeln. Dazu muss der Abrechnende insbesondere die Aufklärungspflichtverletzung vor der Abrechnung erkannt haben. An den Nachweis sind besonders strenge Anforderungen zu stellen. Selbst grob fahrlässige Abrechnungsfehler werden bewusst nicht unter Strafe gestellt. Weil zwischen grob fahrlässigen Fehlern und bedingtem Vorsatz ein schmaler Grad liegt, muss bei Zweifeln der in dubio-Grundsatz gelten.

Fazit

Jedenfalls wiederholte und offensichtliche Aufklärungsfehler beinhalten ein gewisses Risiko, dass die Behörden auch wegen Abrechnungsbetrugs ermitteln. Um dieses Risiko gering zu halten, sollten Krankenhäuser, MVZ und Arztpraxen daher ihre Aufklärungspraxis regelmäßig kritisch überprüfen. Dies ist wichtig, um bereits auf der objektiven Seite des Tatbestandes den Anschein einer fehlerhaften Aufklärung zu beseitigen. Dadurch muss nicht der Schmale Grad der subjektiven Abgrenzung beschritten werden.

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