Verbandssanktionen: Verfassungswidrige Sippenhaft? – Einspruch gegen das „Xerxes-Gesetz“

480 v. Chr. zerstreut ein Sturm die Schiffsbrücke über den Hellespont, auf der Perserkönig Xerxes sein Heer nach Griechenland einmarschieren lassen will. Der Despot ließ die Wellen der Meerenge daher mit 300 Rutenschlägen züchtigen. Jetzt legt Bundesjustizministerin Lambrecht den Entwurf für ein Verbandssanktionsgesetz vor: Dort werden Unternehmen mit drastischen Geldstrafen für Taten ihrer Manager belegt. Das ist ebenso sinnlos. Und es trifft obendrein die Falschen.

Nun setzt der Koalitionsvertrag die 2012 gescheiterte Initiative der damaligen NRW-Landesregierung (SPD) um, Unternehmen für Straftaten ihrer Manager härter zu bestrafen. Bisher ist dies nur als Ordnungswidrigkeit mit begrenztem Bußgeld möglich. Künftig sollen die Geldstrafen für größere Unternehmen bis zu 10 Prozent des Konzernumsatzes betragen. Ferner sollen Unternehmen für Manager-Straftaten immer verfolgt werden, nicht mehr nur, wenn dies den Ermittlungsbehörden angemessen erscheint. Hiermit sollen Unternehmen „empfindlich“ getroffen und rechtstreue Wettbewerber geschützt werden. Faktisch treffen Verbandssanktionen aber die Anteilseigner, die Mitarbeiter und in der Insolvenz die Gläubiger. Die Sanktionierung der Falschen ermöglicht es aber den wahren Übeltätern, sich ins Fäustchen zu lachen, verbittert die grundlos Betroffenen und untergräbt den Rechtsfrieden.

Dieses Vorhaben verletzt das Grundgesetz: Mit der Buße will der Staat Verhalten steuern (Abschreckung). Ein „Verband“ (AG, GmbH usw.) ist aber nur ein Blatt Papier beim Notar. Papier lässt sich nicht steuern – ebensowenig die Wellen des Hellespont. Wirtschaftlich treffen Verbandssanktionen die Anteilseigner; sie zahlen die Zeche. Dass es sinnlos ist, die Anteilseigner so steuern zu wollen, zeigt sich in der Aktiengesellschaft am deutlichsten: Das Gesetz schneidet sie von der Geschäftsführung ab. Und mit Hauptversammlungs-Reden lässt sich nicht für Compliance sorgen. Dennoch sind die Aktionäre das Ziel: Gerichte verweigern Unternehmen den Regress gegen die Verantwortlichen. Hieran ändert der Gesetzentwurf – bezeichnenderweise – nichts.

Dass die Sanktionen die Falschen treffen, ist Sippenhaft. Die aber verbietet das Grundgesetz aus gutem Grund. Zudem schützt das Bundesverfassungsgericht die Aktie – und dort besonders, wo sie persönliche Freiheit des Einzelnen im vermögensrechtlichen Bereich sichert. Die Investition in Aktien dient der Altersvorsorge und sichert damit persönliche Freiheit: Das gilt nicht für Beamte und die, die den Koalitionsvertrag verhandelt haben und ihn umsetzen – deren Altersvorsorge trägt der Steuerzahler. Für Lebensversicherer, Versorgungswerke, Rentenkassen und Selbständige ist Freiheitssicherung per Aktienanlage demgegenüber zentral. Die Niedrigzinspolitik der EZB, von Deutschland unterstützt, zwingt sie in die Aktie.

Nun kann man nicht argumentieren: Wer rechtswidrige Gewinne mitnimmt, der soll auch bluten, wenn die Tat aufgedeckt wird. Denn der Gesetzgeber will strafen, um Prävention zu betreiben. Dann muss er diejenigen strafen, deren Verhalten er steuern will, nicht andere. Nach der Monopolkommission ist es aber „zweifelhaft, ob selbst eine drastische weitere Erhöhung der verhängten Geldbußen zu einem ausreichend tief greifenden Bewusstseinswandel führen wird.“ Nach einer Studie von Harvard-Professor Soltes ist es „Ironie, dass Unternehmensbußen am Ende von den Anteilseignern bezahlt werden.“ Unternehmen zu kriminalisieren, wirke „nur schwach, oder sogar in die falsche Richtung“. Entsprechend geben die USA, Vorreiter der corporate fines, der Suche nach den individuell Verantwortlichen heute wieder erste Priorität. Auch viele deutsche Studien zeigen, dass Unternehmensbußen die schwarzen Schafe unter den Managern nicht von ihren Taten abhalten. Kurz: Die kriminologischen Prämissen der Justizministerin sind überholt.

Ganz verrottet sind Verbandsstrafen als Einnahmequelle. Dort aber liegt die Wurzel der Initiative: Die frühere Landesregierung NRW hat sie angestoßen, als sie sich mit Landesfinanzminister Walter Borjans zum dritten Mal wegen Mißachtung der Verschuldungsgrenzen vor dem Landesverfassungsgericht verantworten musste.

Trotzdem fühlt sich die Bundesjustizministerin an den Koalitionsvertrag gebunden. Dem Grundgesetz gebührt freilich Vorrang vor Parteiräson. Mittlerweile leisten daher nicht nur viele Unternehmen und Verbände, sondern auch einige Justiz- und Wirtschaftsminister der Länder Widerstand. Der Rechts- und der Wirtschaftsausschuss des Bundesrats haben den Gesetzesvorschlag abgelehnt, teils in harschen Worten (Tabubruch, misslungen, unausgegoren); sie bezweifeln zu recht, dass der Vorschlag seine Ziele erreichen kann.

Solcher Widerstand tut Not. Denn um in Eingangsbild zu bleiben: Die Bundesjustizministerin lässt nicht nur Wellen, sondern die Bootsbesitzer auspeitschen. Richtiger wäre es, geltende Gesetze besser umzusetzen. Die Justizministerin hat offenbar auch selbst Zweifel: Sie nimmt hoheitliches Handeln vom Gesetz aus. Behördenversagen wie in Lügde, Bremen, bei Love Parade oder den Brandenburger Krebsmedikamenten bleiben also ungesühnt, obwohl das dortige Leid die Dieselkrise in den Schatten stellt. In der Unternehmensinsolvenz, z.B. im Fall Wirecard, ist die Ungerechtigkeit besonders grell: Die Geldstrafen treffen dort die Gläubiger, nicht die Aufsicht. Das unterstreicht: Verbandssanktionen sind falsch und verfassungswidrig. Mindestens sollten sie Pflichtverletzungen der Anteilseigner und der Gläubiger voraussetzen, wenn diese schon die Zeche zahlen sollen.

 

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