Digital Services Act – Schluss mit dem digitalen „Wilden Westen“?

„It’s time to put some order in the digital “Wild West”. A new sheriff is in town – and it goes by the name #DSA.” Ein neuer Sheriff ist in der Stadt und der soll für Ordnung im digitalen wilden Westen sorgen. So hatte der EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton Anfang des Jahres den Vorschlag eines Gesetzes über digitale Dienste (Digital Services Act, „DSA“) auf Twitter vorgestellt und sogar ein kleines Western-Video produziert.

Bereits im Jahr 2020 stellte die EU-Kommission ihre Pläne zur Regulierung der Online-Welt vor. Bei dem geplanten Gesetzespaket handelt es sich um zwei Verordnungen, die bei Inkrafttreten unmittelbare Anwendung in den Mitgliedsstaaten finden werden: Der DSA und das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, „DMA“). Nach dem EU-Parlament hat Anfang Oktober 2022 auch der Rat dem DSA zugestimmt (siehe Pressemitteilung des Rates der EU). Nach seiner Unterzeichnung durch den Präsidenten des Europäischen Parlaments und den Präsidenten des Rates wird der DSA im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und tritt fünfzehn Monate später in Kraft. Dieser Beitrag beschränkt sich ausschließlich auf den im Entwurf vorliegenden DSA.

Ziel des DSA ist die Regulierung und Aufsicht von Online-Vermittlungsdiensten, die ihre Dienste in der EU anbieten. Insbesondere sollen Nutzerrechte gestärkt und die Verbreitung illegaler Inhalte bekämpft werden.

Digital Services Act – für wen gilt das Gesetz?

Der geplante DSA richtet sich an Anbieter von Vermittlungsdiensten. Das Gesetz untergliedert diese weiter in Hosting-Dienste, Online-Plattformen und sehr große Online-Plattformen. Zu den Online-Plattformen gehören z. B. soziale Netzwerke, Online-Marktplätze, Suchmaschinen oder App-Stores. Sogenannte sehr große Online-Plattformen unterliegen besonderen Pflichten; sie müssen von durchschnittlich 45 Mio. aktiven Nutzern im Monat genutzt werden.

Den Online-Plattformen sollen auch Messenger-Dienste mit offenen Benutzergruppen unterfallen. Zwar sind sog. interpersonelle Telekommunikationsdienste keine Adressaten des DSA. Eine Ausnahme gilt jedoch bei offenen Gruppen, da Informationen für eine potentiell unbegrenzte Benutzerzahl bereitgestellt werden können.

Online-Plattformen sind wichtiger Bestandteil unseres täglichen Lebens im Netz und kaum noch wegzudenken. Wie wichtig und mächtig sie sind, haben uns die jüngsten Ereignisse noch einmal vor Augen geführt: Die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg oder der Sturm auf das US-Kapitol in Washington. Video-Sharing-Dienste, soziale Netzwerke und Messenger-Dienste werden immer wieder zur Verbreitung von Desinformation, Hass und Hetze missbraucht und können dadurch zu einer Gefahr für die Demokratie oder die Gesundheit werden. Daher sollen Diensteanbieter nach dem Willen des EU-Gesetzgebers künftig stärker in die Pflicht genommen werden. Es ist dabei unerheblich, wo der Anbieter seinen Sitz hat, da im DSA das „Marktortprinzip“ verankert ist. Danach kommt es darauf an, ob die Dienstleistung innerhalb der EU angeboten wird.

Was regelt der DSA?

Der DSA enthält insbesondere Regelungen zur Haftung der Anbieter von Vermittlungsdiensten und Sorgfaltspflichten für ein transparentes und sicheres Online- Umfeld (Kapitel II und III des DSA). Die zuvor in der E-Commerce-Richtlinie (RL 2000/31/EG) geregelten Vorschriften zum Haftungsregime werden dort gestrichen und in Art. 3 bis Art. 5 DSA überführt. Die bisher für Diensteanbieter geltende Haftungsprivilegierung gilt daher fort, wenn Nutzer illegale Inhalte einstellen und der Anbieter hiervon keine Kenntnis erlangt hat oder zügig tätig wird, sobald er hiervon erfährt.

Ein großer Teil des DSA betrifft die Bekämpfung illegaler Inhalte. Wie schon im deutschen NetzDG muss der Diensteanbieter prüfen, ob der Inhalt rechtswidrig ist und er diesen sperren oder entfernen muss – mit dem Unterschied, dass der DSA deutlich weiter geht, als das NetzDG, da nicht nur rechtswidrige Inhalte erfasst werden sollen, sondern auch sonstige „illegale Inhalte“ (dazu sogleich). Bei Verstößen gegen die Pflichten aus dem DSA drohen Sanktionen. Der DSA sieht damit eine Mischung aus Selbstregulierung und Aufsicht vor.

Was sind „illegale Inhalte“?

Art. 2 lit. g DSA definiert „illegale Inhalte“ als solche Informationen, die nicht im Einklang mit dem Unionsrecht oder dem Recht eines Mitgliedstaats stehen. Der Begriff ist damit erheblich weiter, als der Begriff „rechtswidrige Inhalte“ nach § 1 Abs. 3 NetzDG. Dieser wird sogar durch einen abschließenden Straftatenkatalog begrenzt. Damit ist der DSA zwar weitreichender; sonstige Inhalte, die unterhalb der Illegalität liegen, aber schädlich sind („harmful content“), wie beispielsweise Desinformationen, Lügen (z. B. „Fake News“) oder Verschwörungstheorien, werden aber gerade nicht erfasst. In diesen Fällen setzt die EU auf die freiwillige Initiative der Diensteanbieter. Dies soll etwa durch entsprechende AGB oder Content Moderation umgesetzt werden.

Bekämpfung illegaler Inhalte

Ein Auszug der wichtigsten Maßnahmen des DSA im Überblick:

Melde- und Abhilfeverfahren

Hosting- Diensteanbieter sollen nach Art. 14 DSA verpflichtet werden, ein Melde- und Abhilfeverfahren einzurichten, das Nutzern ermöglicht, illegale Inhalte an den Anbieter zu melden. Das Meldeverfahren muss einfach zugänglich und benutzerfreundlich ausgestaltet sein. Werden Inhalte gesperrt oder entfernt, muss der betroffene Nutzer darüber in Kenntnis gesetzt werden. Darüber hinaus hat der Diensteanbieter die Gründe nachvollziehbar darzulegen und muss auf mögliche Rechtsbehelfe hinweisen.

Meldungen nach Art. 14 DSA haben nach dem Regelungsvorschlag Einfluss auf die Haftungsprivilegierung nach Art. 5 DSA, da diese bewirken, dass von einer tatsächlichen Kenntnis oder einem Bewusstsein bezüglich der betreffenden Einzelinformation ausgegangen wird. Das bedeutet: Sobald eine Meldung eingeht, muss der Anbieter über die gemeldeten Informationen in „zeitnaher, sorgfältiger und objektiver Weise“ entscheiden. Unterlässt er dies, verliert er seine Haftungsprivilegierung.

Internes Beschwerdemanagementsystem

Nach Art. 17 DSA ist ein internes Beschwerdemanagementsystem für Online-Plattformen vorgesehen. Das System soll den Nutzern ermöglichen, sich gegen die Sperrung oder Entfernung eines Inhalts oder die Schließung eines Kontos zu wehren. Enthält die Beschwerde eines Nutzers ausreichende Gründe, aus denen etwa geschlossen werden kann, dass der gesperrte Inhalt nicht rechtswidrig ist oder gegen AGB verstößt, muss der Inhalt unverzüglich wieder freigeschaltet werden. Auch über eingehende Beschwerden muss die Online-Plattform in „zeitnaher, sorgfältiger und objektiver Weise“ entscheiden.

Vertrauenswürdige Hinweisgeber

Art. 19 DSA sieht die vorrangige und unverzügliche Bearbeitung von Meldungen vertrauenswürdiger Hinweisgeber vor. Hierfür müssen Online-Plattformen die erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen ergreifen. Als vertrauenswürdige Hinweisgeber sieht der DSA etwa Strafverfolgungsbehörden („Stelle mit besonderer Sachkenntnis und Kompetenz“) oder Vertreter kollektiver Interessen.

Maßnahmen und Schutz vor Missbrauch

Gem. Art. 20 DSA sollen Maßnahmen zum Schutz vor Missbrauch vorgesehen werden. Online-Plattformen setzen die Dienste sowohl für Nutzer aus, die oftmals illegale Inhalte auf die Online-Plattform einstellen, als auch für Nutzer, die häufig offensichtlich unbegründete Meldungen oder Beschwerden einreichen. Die Aussetzung soll jedoch erst nach vorheriger Warnung erfolgen.

Meldung des Verdachts auf Straftaten

Art. 15a DSA soll eine Pflicht der Hosting-Diensteanbieter vorsehen, Informationen, die den Verdacht einer Straftat begründen, die eine Gefahr für das Leben oder die Sicherheit einer Person darstellt, unverzüglich bei den Strafverfolgungsbehörden anzuzeigen. Die Straftatbestände werden im DSA nicht konkretisiert. Lediglich aus der Benennung der geschützten Rechtsgüter (Leben und Sicherheit einer Person), lässt sich ermitteln, um welche Straftaten es sich handeln soll. Weiterhin lässt sich aus Erwägungsgrund 42b die Intention des EU-Gesetzgebers entnehmen. Dieser verweist auf Richtlinien zur Bekämpfung des Menschenhandels, des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie und Terrorismusbekämpfung.

Systemische Risiken

Zur Verhinderung sog. systemischer Risiken – hierzu gehört etwa die Verbreitung illegaler Inhalte über die Dienste –, sollen sehr große Online-Plattformen künftig mindestens einmal pro Jahr eine Risikobewertung vornehmen müssen (Art. 26 DSA). Hierbei müssen sie alle erheblichen systemischen Risiken, die sich aus dem Betrieb und der Nutzung ihrer Dienste in der EU ergeben, ermitteln, analysieren und bewerten. In einem zweiten Schritt müssen sie gem. Art. 27 DSA aufgrund der vorherigen Bewertung angemessene, verhältnismäßige und wirksame Risikominderungsmaßnahmen ergreifen. Dies kann etwa durch Anpassung der Systeme, der Gestaltung, der Funktionsweise der Dienste, der AGB oder durch die Moderation von Inhalten geschehen.

Mechanismus zur Krisenintervention

Mit Art. 27a DSA wurde der „crisis response mechanism“ in den Verordnungsentwurf eingefügt. Danach ist ein Sonderverfahren für Krisensituationen vorgesehen, d.h. etwa bewaffnete Konflikte, terroristische Akte, Naturkatastrophen, Pandemien oder sonstige grenzüberschreitende Gefahren für die öffentliche Gesundheit (vgl. Erwägungsgrund 59a). Die Kommission kann danach auf Empfehlung des Europäischen Gremiums für digitale Dienste (Art. 47 ff. DSA) sehr große Online-Plattformen und sehr große Online-Suchmaschinen verpflichten, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen:

  • Risikobewertung: Prüfung, ob und wie die Nutzung der Dienste zu einer schweren Bedrohung beitragen
  • Risikominderungsmaßnahmen: Ermittlung und Anwendung spezifischer, wirksamer und verhältnismäßiger Risikominderungsmaßnahmen
  • Berichterstattung an die Kommission

Sonstiges

Der DSA sieht darüber hinaus unter anderem folgende Regelungen vor:

  • Verbot sog. Dark Patterns, darunter versteht man eine manipulative Gestaltung oder Prozesse, die Nutzer zu einer bestimmten Handlung motivieren sollen (Art. 23a DSA)
  • Verbot personalisierter Werbung für Minderjährige (Art. 24b DSA)
  • Berichtspflichten (Art. 13, 33 DSA)
  • Transparenzpflichten (Art. 24a DSA)

Geldbußen

Der DSA in der aktuell vorgeschlagenen Form sieht Geldbußen gegen sehr große Online-Plattformen und sehr große Online-Suchmaschinen, bis zu einem Höchstbetrag von 6 % des weltweiten Jahresumsatzes vor. Dies gilt etwa bei vorsätzlichem oder fahrlässigem Verstoß gegen die „einschlägigen Bestimmungen“ des DSA (Art. 59 Abs. 1 lit. a DSA).

Ablösung nationaler Vorschriften

Aufgrund des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts und des Verordnungscharakters des DSA (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV), werden mit Einführung des DSA weite Teile des NetzDG abgelöst.

Wann gilt der DSA?

Der DSA tritt am zwanzigsten Tag nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft und gilt fünfzehn Monate nach seinem Inkrafttreten.

Fazit

Der DSA enthält eine Vielzahl an Vorschriften, um insbesondere die Verbreitung von illegalen Inhalten einzudämmen und Nutzerrechte zu stärken. Die Intention des EU-Gesetzgebers ist grundsätzlich begrüßenswert.

Gerade die Tech-Giganten werden mit Geltung des DSA aber vor eine immense Aufgabe gestellt. So müssen sie die Inhalte an den Maßstäben des EU-Rechts und am Recht jedes einzelnen Mitgliedsstaats messen. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Inhalten und die damit oftmals einhergehende Abwägung der betroffenen Grundrechte, insbesondere der Meinungsfreiheit, wird damit Privaten auferlegt. Die Frage der rechtmäßigen Ausübung von Grundrechten liegt infolgedessen in den Händen der Diensteanbieter, die damit – jedenfalls faktisch – auch erheblichen Einfluss auf die Strafverfolgung nehmen können.

Hassreden, Fake News und Verschwörungstheorien werden dagegen als solche nicht vom DSA erfasst. Das dürfte auch daran liegen, dass „schädlicher Inhalt“ in der Regel schwer zu definieren ist und Eingriffe in die Meinungsfreiheit der Nutzer entgegenstehen kann.

Dass der Entwurf nur wenige starre Fristen vorsieht, ist zu begrüßen; zumindest die Gefahr eines „Overblocking“ durch zu vorschnelles Eingreifen dürfte damit gering sein. Andererseits ist es schwierig zu beurteilen, was unter einer „zeitnahen“ oder „zügigen“ Entscheidung zu verstehen ist, was wiederum zu Rechtsunsicherheit führt.

Da die Pflichten an die Diensteanbieter überwiegend als Selbstregulierungspflichten ausgestaltet sind, ist fraglich, inwieweit die Anbieter diesen nachkommen werden (können). Die vorgeschlagenen Sanktionsregelungen werden zumindest bei sehr große Online-Plattformen einen entsprechenden Handlungsdruck schaffen.

Es bleibt somit abzuwarten, ob der DSA tatsächlich für Recht und Ordnung im digitalen „Wilden Westen“ führen wird.

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