Adieu, Verbandssanktionengesetz – oder doch auf Wiedersehen?
Das Verbandssanktionengesetz war über Monate in aller Munde. „Endlich ein echtes Unternehmensstrafrecht“, jubilierten die einen. Überflüssig, handwerklich nicht gut gemacht, kritisierten die anderen. Klar ist: Das VerSanG hätte im Bereich des Unternehmensstrafrechts zu weitreichenden Änderungen geführt, und selbst von Natur aus vorsichtige Stimmen waren irgendwann sicher: Das Gesetz kommt! Es kam anders: Der Gesetzesentwurf scheiterte in der letzten Phase des Gesetzgebungsverfahrens. Und jetzt?
Was das VerSanG gebracht hätte
Das „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ sollte die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität effektiver machen. Zentrale Neuerung war die Einführung einer unmittelbaren Strafbarkeit von Verbänden und damit verbunden ein Verfolgungszwang jeglicher strafbarer Handlungen mit Unternehmensbezug. Bisher kann ein Unternehmen bekanntermaßen „nur“ mit einer Geldbuße nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz sanktioniert werden.
Mit dem Entwurf des VerSanG wurden außerdem zum ersten Mal außerhalb von Spezialgesetzen Anreize für die Schaffung und Aufrechterhaltung eines unternehmensinternen Compliance-Systems gesetzlich verankert, das sich sanktionsmildernd auswirken sollte. Verbänden sollte die Möglichkeit eröffnet werden, mit internen Untersuchungen zur Aufklärung der Straftaten beizutragen und damit Sanktionsmilderung zu erreichen.
Unsere Einzelkritik an verschiedenen Regelungen des Gesamtwerks finden Sie in mehreren Beiträgen auf diesem Blog.
Woran es im Entwurf des VerSanG fehlte
Der Gesetzesentwurf sah sich sehr früh massiver Kritik ausgesetzt. Obwohl es durchaus Befürworter eines Unternehmensstrafrechts gibt, wurde die Umsetzung des Gedankens, Unternehmen unmittelbar zur Rechenschaft zu ziehen, im Verbandssanktionengesetz als wenig gelungen angesehen (vgl. Verbandssanktionengesetz: Fluch oder Segen für Unternehmen? sowie „Vom Saulus zum Paulus“ – Jürgen Wessing im Podcast-Gespräch mit Christian Rosinus zum Thema Unternehmensstrafrecht ).
Grund dafür war eine Reihe verpasster Chancen: Den Verbänden sollte faktisch die Einrichtung von Compliance-Systemen auferlegt werden, ohne dass im Gesetz geregelt wurde, was Compliance genau bedeutet. So warf der Gesetzentwurf beim Thema Compliance mehr Fragen auf als er beantwortete.
Auch beim Thema „Interne Untersuchungen“ gab es in der letzten Fassung des VerSanG-Entwurfs viele Konfliktpunkte und Ungereimtheiten. Insbesondere blieb unklar, wie sich die internen Untersuchungen zu den staatlichen Ermittlungen verhalten würden. Das Gesetz hätte die akute Gefahr begründet, dass der staatliche Ermittlungsauftrag privatisiert wird. Statt Staatsanwälten, die einmal zur Durchsuchung kommen, gäbe es eine rollierende Durchsuchung durch der Staatsanwaltschaft zuarbeitende private „Durchsuchungsunternehmen“. Durch die Trennung der internen Untersuchung von der Unternehmensverteidigung bestand die Gefahr einer Aushöhlung des Beschlagnahmeschutzes. Insgesamt war das Gesetz alles andere als verteidigungsfreundlich – die faktischen Möglichkeiten, sich gegen Vorwürfe zu verteidigen, waren gering.
Die Unbestimmtheit vieler Regelungen war letztlich vielleicht das größte Ärgernis: Wann ist eine Verbandsgeldsanktion „angemessen“ i.S.d. § 7 Abs. 1 VerSanG? Wann gilt eine Tätigkeit des Verbands als „im Wesentlichen fortgesetzt“? Was genau bedeutet „Kooperation“ mit der Staatsanwaltschaft im Rahmen interner Untersuchungen? Alles Fragen, die nicht ausreichend geregelt waren, und damit den Gerichten in den Schoß geworfen worden wären.
Kommt nach der Wahl ein neuer Aufguss?
Gescheitert ist das Gesetz letztlich aber nicht an den durchaus validen Argumenten der Kritiker in der fachlichen Diskussion. Sondern an Differenzen zwischen den Koalitionsparteien Union und SPD zum Umgang mit Berichten aufgrund interner Untersuchungen: Der Widerstand der Politik rührte nicht zuletzt daher, dass neben der Doppelbestrafung von Unternehmen und handelnden Personen zum gleichen Sachverhalt in den finanziellen Konsequenzen letztendlich diejenigen getroffen werden, deren einziger Fehler war, sich finanziell oder arbeitsmäßig an dem betreffenden Unternehmen zu beteiligen. Auch der begründete Unwillen von Staatsanwälten und Richtern, die eine kaum zu bewältigende Mehrarbeit ohne wirklichen sozialen Mehrwert auf sich zukommen sahen, mag zum Stopp der Gesetzesvorlage beigetragen haben.
Ist damit das Ende des „echten“ Unternehmensstrafrechts besiegelt? Wohl nicht. Auch die Regierung der neuen Legislaturperiode wird sich mit dem Thema Verbandssanktionen beschäftigen (Nach dem Spiel ist vor dem Spiel – wie geht es weiter mit dem Unternehmensstrafrecht?) Was von der bisher vorgetragenen Kritik in der neuen Legislaturperiode Gehör finden wird, bleibt abzuwarten. Zu hoffen ist, dass ein neuer Gesetzesentwurf die Unternehmensrealitäten und die Rechte von Unternehmen gegenüber dem Staat besser berücksichtigt. Das Scheitern des VerSanG-E 2021 bedeutet jedenfalls keine Entwarnung für Unternehmen. Auf erhöhte Compliance-Anforderungen und Verbandsstrafen in empfindlichen Höhen sollten sie sich weiterhin einstellen.
* Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Formen männlich, weiblich oder divers verzichtet. Sämtliche Bezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.