Nach dem Spiel ist vor dem Spiel – wie geht es weiter mit dem Unternehmensstrafrecht?

Während die Fußball-EM unmittelbar vor der Tür steht, scheint sich das Unternehmensstrafrecht – zumindest vorerst – von der Tagesordnung verabschiedet zu haben. So ist es durchaus opportun zu fragen: Was bleibt von den Reformüberlegungen? Und was kommt jetzt?

Die letzten Monate haben zu einer umfangreichen und begrüßenswerten Auseinandersetzung mit dem Thema Strafbarkeit von Verbänden geführt. Das Spektrum reichte von öffentlich-rechtlichen Fragen einschließlich des Verfassungsrechts über zivil- und gesellschaftsrechtliche Abhandlungen bis zu straf- und rechtsvergleichenden Untersuchungen, von sehr theoretischen und grundsätzlichen Diskussionsbeiträgen bis zu ganz praktischen und pragmatischen Lösungsalternativen. Waren die Diskussionen vergeblich? Mitnichten, im Gegenteil:

Denn wenn man den (meisten) Wahlprogrammen Glauben schenken darf, ist damit zu rechnen, dass das Unternehmensstrafrecht auch in der nächsten Legislaturperiode auf der Agenda stehen wird.

Ein weiterer Grund, der für die Einführung eines Unternehmensstrafrechts spricht, ist ein Vergleich mit den (bußgeldbewehrten) Sanktionsregimes des Kartell-, Datenschutz- und (neuerdings) auch Lieferkettenrechts. Dieser zeigt, dass eine Missachtung letzterer Vorgaben durch Mitarbeiter eines Unternehmens erheblich höher sanktioniert wird, als entsprechende strafrechtliche Verstöße nach dem OWiG. Dieses (durchaus als ungerecht empfundene) Ungleichgewicht wird aber traditionell nicht durch Abschaffung gesetzlicher Vorgaben behoben, sondern durch „ein Mehr Desselben“, das heißt durch neue, weitere Gesetze. Dass dann womöglich das Mehr Desselben weniger zur Problemlösung beiträgt, als vielmehr Teil des zunehmenden Kompliziertheits-Problems ist, steht auf einem anderen Blatt.

Neue Leitplanken für Verbandssanktionen

Für einen neuen Anlauf eines Verbändestrafrechts wären folgende Leitplanken wünschenswert:

Das Ziel der Bekämpfung von Unternehmenskriminalität leuchtet ein. Allerdings betrifft das Phänomen des strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens nicht nur die Organisation „Wirtschaftsunternehmen“. Viele presserelevante Skandale zeigen, dass auch Organisationen wie Kirchen, gemeinnützige Vereine, Spendenorganisationen, Krankenhäuser, Fraktionen etc. aus sich heraus Straftaten begehen, teilweise mit ähnlichen, teilweise sogar mit gravierenderen Auswirkungen für die Gesellschaft.

Ist jedoch eine Konzentration auf Unternehmen (politisch) bezweckt, wäre eine Schwerpunktsetzung auf bestimmte Verbandstaten zu befürworten. Gleichzeitig sollten die ausschließliche Legitimation einer bundesweit zuständigen Verfolgungsbehörde überlegt und das Opportunitätsprinzip beibehalten werden. Diese drei Maßnahmen würden zu einer effektiveren und effizienteren Wahrung der „Integrität in der Wirtschaft“ führen. Die nach dem aktuellen Entwurf breite Definition der „Verbandstat“ kombiniert mit dem Legalitätsprinzip und der Länderhoheit der verbandsrechtlichen Verfolgung lässt den Anwendungsbereich uferlos werden. Dies käme einem Unterverdachtstellen des Unternehmertums als kriminogen in Gänze und einer „Mikroparzellen-Strafverfolgung“ gleich (vgl. Compliance Quick Check in Compliance Manager 04/20).

Compliance-Begriff angleichen

Es wäre ferner wichtig, den Begriff des Compliance-Managements bzw. des Compliance-Programms insoweit zu definieren, dass er in Einklang mit anderen Risikovorsorgegesetzen stünde. Bereits jetzt gibt es eine Vielzahl an Compliance-Anforderungen im Kartell-, Datenschutz-, Steuer-, Arbeits-, Bilanz-, Lieferkettenrecht etc. Eine Zersplitterung der Risikovorsorgesysteme und deren Mechanismen tut weder für die betroffenen Organisationen noch für die (Strafverfolgungs-)Behörden Not.

Schließlich sollte ein neues Unternehmensstrafrecht nicht dazu führen, dass für alle potenziell betroffenen Verbände bzw. Unternehmen haarklein intraorganisationale Compliance-Vorkehrungen verbindlich vorgegeben werden. Dies brächte nicht nur die Gefahr einer „Übernutzung“ von Compliance mit sich – etwa in dem Sinne des alten Medizinerwitzes: „Operation erfolgreich, Patient tot!“. Sondern es verkennt auch das Wesen von Unternehmen bzw. Organisationen als soziale Systeme. Für diese gilt nicht erst seit Murray Gell-Mann (Nobelpreisträger von 1969): „The only valid model of a human system is the system itself“. Dies bedeutet, dass der umsichgreifende Rezept-Methodismus, der Standardisierungs- und Normierungstrend einschließlich des Best-Practice-Ansatzes für die Corporate-Compliance nur bedingt erfolgversprechend ist.

Um den Ball aus der Einleitung wieder aufzunehmen und ein Zitat des legendären Sepp Herberger zu bemühen: „Die Leute gehen ins Stadion, weil Sie nicht wissen, wie es ausgeht.“ Überträgt man diese Fußballweisheit auf das Unternehmensstrafrecht, darf man als Zuschauer des Ringens um ein Verbandssanktionengesetz durchaus gespannt auf die nächste Saison schauen.

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Markus Jüttner ist Vice President und Head of Group Compliance der E.ON SE und Vorstandsmitglied von DICO e. V.. Zudem ist er Lehrbeauftragter am Max-Weber-Institut für Soziologie der Universität Heidelberg und an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen sowie im Beirat der Simply Rational GmbH, einer Ausgründung des Max-Planck-Instituts for Human Development.