Wie steht der Bundesrat zum VerSanG?

„Der Bundesrat lehnt das Gesetz ab“ – eine bessere Überschrift als die Empfehlung des Rechtsausschusses und des Wirtschaftsausschusses vom 8. September 2020 zur Zusammenfassung der Beschlüsse der Ausschüsse kann es nicht geben.

Die zentralen Punkte, die zu einer derart klaren Aussage führen, sind:

  • der Gesetzesentwurf sei nicht effektiv;
  • der Gesetzesentwurf sei nicht handhabbar;
  • das Legalitätsprinzip überlaste Staatsanwaltschaften und Gerichte;
  • die Privatisierung der Ermittlungen in Sanktionsverfahren sei bedenklich;
  • der Druck des Gesetzes auf Unterwerfung sein in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht unvertretbar;
  • die Verhältnismäßigkeit der vorgesehenen Sanktionen sei für kleinere oder mittlere Unternehmen bedenklich.

Effektivere Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität begrüßt

Begrüßt wird das Bestreben, Wirtschaftskriminalität effektiver zu bekämpfen und das zugehörige Sanktionsrecht zu verbessern. Neben dieser sehr allgemeinen Aussage lässt der Ausschuss allerdings kaum ein gutes Haar am Gesetzesentwurf.

Ein wesentliches Anliegen ist es, das Gesetz und seine Konsequenzen auf wirklich große Unternehmen zu beschränken. Systemisch noch wichtiger ist die Ablehnung des den Gesetzesentwurf prägenden Verfolgungszwanges. Das Opportunitätsprinzip, welches das Ordnungsrecht bislang beherrschte, soll beibehalten werden. Das Legalitätsprinzip verkenne den strukturellen Unterschied zwischen Unternehmensverantwortung und individueller Schuld.

Stattdessen wird eine Regelung eingeführt, die bei schweren bedeutungsvollen Verfahren einen faktischen Verfolgungszwang statuiert, beschrieben als „gesetzlich eingeschränktes Opportunitätsermessen“. Diese Ausbalancierung nach Schwere und Wesentlichkeit eines Verstoßes würde eine Überlastung der Justiz vermeiden. Dazu anzumerken ist, dass damit die Rechtsprechung aufgefordert wäre, die Grenzen der Opportunität zu definieren. Ein Vorhaben, das bislang hauptsächlich in Wertgrenzen im Steuerrecht Anklänge kennt.

Angemessene Compliance soll tatbestandsausschließend wirken

Ein interessanter Ansatz der Ausschüsse ist, dem Bestehen angemessener Compliance-Strukturen, die ein Organisationsverschulden des Verbandes für die konkrete Verbandstat ausschließen, tatbestandsausschließende Wirkung zukommen lassen zu wollen. Begrüßenswert ist dabei vor allem, dass die Wirkung von Compliance in der Sanktionsbemessung damit eindeutig festgeschrieben ist. Man sieht darin die Möglichkeit, den positiven Anreiz zur Vermeidung von Verbandsstraftaten zu manifestieren und zu verstärken.

Die Möglichkeiten des Absehens von Verfolgung sollen erweitert werden, wenn eine Abwägung zwischen Verbandsverantwortlichkeit und individuellen Verschulden ein Überwiegen des letzteren ergibt.

Interessant ist auch der Gedanke, dass bei Kongruenz von Unternehmen und Täter in wirtschaftlicher Hinsicht die Sanktionierung des Täters ausreichen soll. Auch hier will der Ausschuss das von ihm statuierte „gesetzlich eingeschränkte Opportunitätsermessen“ als Sicherheitsventil installieren.

Intensive Kritik am Sanktionsrahmen

Auch der Sanktionsrahmen erfährt intensive Kritik. Ein Vergleich mit anderen Ländern des europäischen Rechtskreises ergebe, dass zehn Prozent des weltweiten Konzernumsatzes unverhältnismäßig hoch seien. Thematisiert wird auch, dass die Vorschrift des §§ 9 Abs. 2 Verbandssanktionengsetz im Lichte wirtschaftlicher Realitäten eine Ungleichbehandlung festlegt. Die Margenunterschiede bei Großunternehmen sind erheblich, sodass ein Unternehmen mit gigantischem Umsatz und kaum Gewinn ungleich härter getroffen wird, als die margenstarke kleine Einheit.

Kritik erfährt gleichfalls die vorgesehene öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung eines Verbandes. Sie sei nicht erforderlich und auch nicht praktikabel. Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines solchen Vorgehens seien unberechenbar und oftmals unverhältnismäßig. Der Ausschuss begreift diese Maßnahme als Sanktion, anders als die Entwurfsverfasser. Zurecht wird auch auf bereits bestehende Möglichkeiten zur Information von Verletzten hingewiesen: § 111 Abs. 4, § 459 Abs. 1 S. 2 der Strafprozessordnung sind bereits ein existierendes Instrument.

Die weithin kritisierte Forderung in § 17 Abs. 1 Nr. 3 des Entwurfes, der Verband müsse ununterbrochen und uneingeschränkt mit den Verfolgungsbehörden zusammenarbeiten, findet (zurecht) auch keine Gnade vor den Augen des Ausschusses. Die Möglichkeit für einen Verband auszuschließen, sich zu mindestens einen Überblick über die Berechtigung von Vorwürfen zu verschaffen, ist nicht verhältnismäßig.

Anbindung des Entwurfs an die StPO kritisiert

Im verfahrensrechtlichen Teil kritisiert der Ausschuss die Anbindung des Gesetzentwurfes an die bestehende Strafprozessordnung und möchte wesentliche Teile der Hauptverhandlung mangels fehlender höchstpersönlicher Betroffenheit aus der Hauptverhandlung auslagern. Eine Verschriftlichung des Verfahrens in Abkehr vom Mündlichkeitsprinzip, die in Anbetracht der möglichen Aktionen aus meiner Sicht nicht angemessen ist. Die Kritik des Ausschusses am Auskunftsverweigerungsrecht des Vertreters des Verbandes wird damit begründet, dass das einem Auskunftsverweigerungsrecht zugrunde liegende persönliche Näheverhältnis nicht zu vergleichen sei mit der Beziehung einer Leitungsperson zum Unternehmen.

Vermieden werden soll nach Zielrichtung des Ausschusses die faktische Doppelbestrafung, wenn Straftäter und Unternehmen wirtschaftlich praktisch identisch sind. In diesen Fällen sei eine zusätzliche Sanktionierung des Verbandes nicht ersichtlich.

Insgesamt sind es sehr bedenkenswerte Ansätze des Bundesrates. Die Argumentation des Ausschusses zeigt deutlich, dass der Gesetzentwurf noch nicht ausgereift ist.

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