Verbandssanktionengesetz: Fluch oder Segen für Unternehmen?
Das Verbandssanktionengesetz (VerSanG) befindet sich in der letzten Phase des Gesetzgebungsverfahrens. Am 21. Oktober 2020 hat die Bundesregierung den Entwurf in den Bundestag eingebracht (BT-Drucks. 19/23568). Bereits am 18. September hatte sich der Bundesrat ausführlich mit den Vorschlägen der Bundesregierung befasst und einige Änderungen vorgeschlagen (BR-Drucks. 440/20; vgl. VerSanG: So hat der Bundesrat abgestimmt), auf die wiederum die Bundesregierung mit einer Gegenäußerung reagiert hat. Wir haben im Blog ausführlich berichtet.
Was Kern des neuen Gesetzes ist und wie die Pläne der Bundesregierung zu bewerten sind, war Thema einer Diskussionsrunde veranstaltet durch das Institut für Prozess- und Anwaltsrecht an der Leibniz Universität Hannover, an der unser Partner Heiko Ahlbrecht, Simone Lersch, Tsambikakis & Partner Rechtsanwälte, Nadja Flegler, Institut für Prozess- und Anwaltsrecht, Leibniz Universität Hannover sowie Dr. Rainer Eckert, Eckert Rechtsanwälte Steuerberater, und Martin Wohlrabe, Consilium, teilnahmen.
Die Diskussion unter dem Titel „Verbandssanktionengesetz – Fluch oder Segen für Unternehmen?“ können Sie auf YouTube ansehen.
Im Folgenden lesen Sie einige wesentliche Statements von Heiko Ahlbrecht aus der Diskussion.
Wie bewerten Sie persönlich das Verbandssanktionengesetz?
„Es ist ein gut gemeintes Gesetz, es ist nur schlecht gemacht. Wenn man ein solches Gesetz macht, ergibt es Sinn, bestimmte Dinge, die das Ordnungswidrigkeitenrecht nur allgemein und für eine Vielzahl von Ordnungswidrigkeiten regelt, nochmal präziser und exakt genau auf diese Konstellation zuzuschneiden. Das ist mit dem Regierungsentwurf jedoch nicht gelungen. Die wesentlichen Kritikpunkte sind, dass nach wie vor niemand genau weiß, was Compliance heißt, denn das ist gesetzlich nicht geregelt. (…) Das war die große Erwartung und unter den Voraussetzungen haben wir das Gesetz auch seinerzeit befürwortet. (…) Der Entwurf hat noch verschiedene andere Spezialitäten: Interne Untersuchungen, Kooperation mit der Staatsanwaltschaft. Was heißt „Kooperation“ überhaupt, was heißt „rechtmäßiges Verhalten“? Soll dieser Gesetzesentwurf dazu dienen, die Verbände der Verfolgungsmacht zu unterwerfen? (…) Das ist eine Vielzahl von Fragen, die nicht präzise genug geregelt sind.“
Führt das VerSanG zu einer Amerikanisierung der Verhältnisse? Und verträgt sich das mit unserem System, unserer anwaltlichen Berufsauffassung und der Kultur, die wir im deutschen Rechtssystem angelegt haben?
„Eigentlich nicht, um das ganz klar zu sagen. Denn wenn Dritte beauftragt werden, eine interne Untersuchung durchzuführen, wie es im Entwurf vorgesehen ist, dann kommt das Mandatsverhältnis zwischen dem Unternehmen und der beauftragten Kanzlei zustande. Gleichzeitig ist die Staatsanwaltschaft dahinterstehender Auftraggeber. Das ist schon kein echtes Mandat. Eine Amerikanisierung sehe ich hier absolut. Ich erlebe es in internationalen Fällen sehr oft, dass die amerikanischen Anwälte ihrem Unternehmensmandaten bei weitem nicht so nah sind, wie es hier in Deutschland im Rahmen des berufsrechtlich zulässigen und auch richtigen Näheverhältnis zwischen dem Anwalt und dem Unternehmen der Fall ist, was für sich per se schützenswert ist. Das kann hier auf gar keinen Fall zustande kommen. Die böse Frage, die man sich stellen kann, ist: Wie hält es denn die beauftragte Kanzlei, wenn sie die interne Untersuchung durchführt? Ist das mehr im Interesse der Staatsanwaltschaft oder mehr im Interesse des Unternehmens? Es kann ja sein, dass die Staatsanwaltschaft sagt, dass sie mit einer bestimmten Kanzlei gute Erfahrungen gemacht hat und daher darum bittet, diese Kanzlei statt einer anderen zu nehmen. Umso weiter driftet also das Mandatsverhältnis auseinander. (…) Was heißt Kooperation? Wer definiert das? Kann das am Ende ein Gericht entscheiden oder entscheidet das die Staatsanwaltschaft? (…) Das sind die Fragestellungen, die einen dann umtreiben. Ich bin sehr gespannt, wie das am Ende funktionieren wird.“
Was müsste sich an Compliance-Systemen ändern, damit sie denn anerkannt werden?
„Es gibt schon viele Unternehmen, die sich einer Compliance-Kultur verschrieben haben. Das ist ein langsamer Prozess. Aber spätestens seit der Berliner Stadtwerke-Entscheidung von 2009 hat es eine stetige Entwicklung hin zu Compliance gegeben. Also in jedem mittelgroßen Unternehmen weiß jeder, was mit den IDW-Standards gemeint ist, die Compliance angehen. Die neue IDW-PS 37301 wird möglicherweise dann auch herangezogen werden. Entscheidend ist die Rechtstreue. Und die Rechtstreue als grundsätzliches Geschäftsprinzip ist auf dem Weltmarkt noch immer schwierig einzuhalten. Das gilt nicht nur innerhalb von Europa, sondern auch das größere Europa, Asien, Südamerika, vor allem auch Afrika. Rechtstreue ist dort nach wie vor nicht angesagt. Es kommt dieser starke ursprüngliche Strom aus den USA, schon vor 20 Jahren. Es gibt die Tochter mit Großbritannien und jetzt kommt es in Europa langsam an. Wobei man in Deutschland auf einem ziemlich guten Weg ist im Vergleich mit anderen Staaten. Insofern würde ich das in Deutschland nicht so negativ, sondern eher positiv beschreiben. Aber dieses Gesetz zwingt jedes Unternehmen, auch kleine Unternehmen, dazu, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Und das ist natürlich ein ziemlicher Aufwand. (…) Die ursprüngliche Idee [im Gesetzentwurf] war gut. Und deswegen war es auch zu begrüßen, dass [Compliance] endlich geregelt wird.“ (…) Es sind aber viel zu viele Fragen offen geblieben mit diesem Entwurf.“
Ist der Umsatz die richtige Anknüpfungsgröße für eine Sanktion?
„Das war sie schon immer. Im Ordnungswidrigkeitenrecht gibt es zum einen den Bußteil mit maximal 10 Mio. Euro. Darüber kann man streiten. Aber es gibt den § 17 Abs. 4, das ist die Sky-Is-No-Limit-Vorschrift. Die betrifft das, was man darüber eingenommen hat: Brutto-Prinzip und Netto-Prinzip, also den Auftrag, den ich mir illegal besorgt habe, den kompletten Auftragswert oder nur das abzüglich Aufwendungen. Und da gab es schon immer die Diskussion, von welchem Umsatz gesprochen wird. Von dem Umsatz, wo die Deckungsbeiträge schon drin sind, der eigene Aufwand und welche von den Deckungsbeiträgen? Das ist eine Wissenschaft für sich. Aber ich weiß, dass man es runterrechnen kann. Erstaunlicherweise gibt es so viele glatte Geldbußen, wie die eine Milliarde. Es gibt nur wenige Ausnahmen. Normalerweise einigt man sich vorher. Am Ende ist auch dieses Gesetz nicht daraus ausgerichtet, dass das vor Gericht stattfindet. Es ist zwar so geschrieben, als ob es wirklich vor Gericht landet. Dafür gibt es aber viel zu viele Möglichkeiten, wie am Ende das Ganze auch ohne Hauptverhandlung stattfinden kann. Also deswegen ist es enttäuschend. Es ist alles, aber kein klarer Rechtsrahmen.“
Wie ist die Konkurrenz zwischen der Verantwortlichkeit des Unternehmens und der der Organträger vorgesehen?
„Beides soll es geben. Das ist auch das Prinzip aus dem Ordnungswidrigkeitengesetz. Es gibt dann nach wie vor ein Verfahren gegen die Individuen. Sie können sich dann entscheiden, wie und ob sie sich verteidigen wollen. Das wird gerade in diesen Verfahren gar nicht so unwichtig werden. Dann gibt es noch die Einleitung des Verfahrens gegen die Unternehmen nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht, wie es heute größtenteils auch schon der Fall ist, je nachdem wann und wie die Staatsanwaltschaft das entscheidet.“