Was ist eigentlich eine Verbandstat?

Die Einführung eines Unternehmensstrafrechts in Deutschland regelt der Gesetzgeber mit dem geplanten Verbandssanktionengesetz. Anknüpfungspunkt für eine Strafbarkeit ist danach die „Verbandstat“. Wie der Entwurf des VerSanG die Verbandstat definiert, erläutert dieser Beitrag.

Nach dem Verbandssanktionengesetz (VerSanG) ist die „Verbandstat“ eine Straftat, durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte. Der inoffizielle Referentenentwurf vom 15. August 2019 enthielt noch den Begriff „Verbandsstraftat“. Hiervon ist der Gesetzgeber inzwischen abgerückt. Eine Begründung zu dieser Änderung gab es nicht. Hintergrund wird sein, dass es sich bei dem VerSanG rechtssystematisch nicht um Strafrecht für Unternehmen handeln soll.

Verbandstat kann jede Straftat sein – es gibt keine Beschränkung auf Vermögens- und Steuerdelikte, an die man in der Regel als Erstes denkt. Für die Sanktionshöhe spielt die Art der Straftat (z.B. Vergehen oder Verbrechen, Haupt- oder Nebenstraftat) keine Rolle. Ordnungswidrigkeiten werden hingegen nicht erfasst. Sie werden nach wie vor nach dem OWiG geahndet.

Täter der Verbandstat

Die Verbandstat kann eine Leitungsperson als auch eine sonstigen Person, die in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbands gehandelt hat, begehen. Diese Person kann also betriebsfremd sein. Sie muss jedoch der Kontrolle einer Leitungsperson unterliegen. Hier ist erforderlich, dass die Straftat durch Vorkehrungen seitens einer Leitungsperson – auf welcher Hierarchieebene bleibt unklar – hätte verhindert oder wesentlich erschwert werden können. Die konkreten Gestaltungen einer solchen Konstellation bleiben in dem Regierungsentwurf vom 16. Juni 2020 offen. Es ist davon auszugehen, dass vertragliche Konstellationen gemeint sind.

Keine tauglichen Anknüpfungstaten sind Exzesstaten. Ein Exzess liegt vor, wenn „der Täter aus verbandsfremder Motivation handelt und fest zur Tat entschlossen ist, sodass auch eine weitreichende Compliance wirkungslos bleiben müsste“. Doch wann genau liegt eine solche Tat vor? Bei zielgerichtetem Handeln gegen die Compliance-Grundsätze des Verbandes oder bereits bei Nachlässigkeit und wissentlichem Verstoß gegen interne Anweisungen? Der Gesetzesentwurf bietet hier viel Raum für Interpretationen (kritisch z.B. Stellungnahme BCM und VCI, Juni 2020, S. 12).

Verletzung von Pflichten, die den Verband treffen

Mit Pflichten des Verbandes nach der ersten Variante sind – wie auch bisher schon – betriebsbezogene Pflichten gemeint. Das sind solche, die den Verband als Normadressaten im Sinne eines Gebots oder eines Verbots treffen, z.B. als Steuerpflichtiger, als Arbeitgeber oder als Exporteuer. Ebenfalls erfasst sind Fälle, die den Verband als Adressat einer normbezogenen verwaltungsrechtlichen Anweisung treffen und die sich aus seinem besonderen Wirkungskreis ergeben (Meyberg in BeckOK OWiG, Stand: 1. April 2020, § 30, Rn. 78, 80). Auch jedermann treffende Allgemeinpflichten können durch einen Sachzusammenhang mit dem Verband zu „betriebsbezogenen“ Pflichten werden.

An einer Verbandstat fehlt es ausweislich der Regierungsbegründung, wenn sich die Tat ausschließlich gegen den Verband gerichtet hat, so zum Beispiel bei Veruntreuung von Geldern des Unternehmens. Sie kann aber in Mischfällen vorliegen, wenn sich die Tat sowohl gegen den Verband als auch einen Dritten richtet. In diesen Fällen kann es – so die Regierungsbegründung – sachgerecht sein, das Verfahren zur Verhängung einer Verbandssanktion einzustellen bzw. die Schädigung des Verbandes bei der Bemessung der Sanktion zu berücksichtigen (RegE, S. 75). In Mischfällen wird sich zukünftig die Frage nach der konkreten Handhabung stellen.

(Geplante) Bereicherung des Verbands

Von der zweiten Variante sind Taten erfasst, die den Verband bereichert haben oder bereichern sollten. Hierbei können die Grundsätze, die zu den Voraussetzungen der Bereicherung nach dem OWiG entwickelt worden sind, übertragen werden. Dabei deckt sich der Begriff der Bereicherung weitgehend mit dem Begriff des Vermögensvorteils in § 263 StGB. Erfasst ist jede Erhöhung des wirtschaftlichen Wertes des Vermögens. Auch mittelbare wirtschaftliche Vorteile, wie z.B. ersparte Aufwendungen oder die Verbesserung der Wettbewerbssituation – mag sie durch eine Bestechung herbeigeführt worden sein – reichen aus. Ein Erfolgseintritt der Bereicherung wird nicht vorausgesetzt. Es reicht der Vorsatz des Täters dahingehend aus. Dies wird zum Teil kritisiert (Stellungnahme HDE vom 28. Mai 2020, S. 5). Eine Gewinnerzielungsabsicht wird in der Regierungsbegründung und in den OWiG-Kommentaren für das Vorliegen einer Bereicherung nicht vorausgesetzt.

Sonstige Voraussetzungen

Die jeweilige Anknüpfungsstraftat selbst muss tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft begangen worden sein. Der Täter selbst muss nicht ermittelt werden, damit eine Sanktion verhängt wird. Es reicht aus, dass die Begehung einer Verbandstat festgestellt wird (RegE, S. 75). Der Grund für den Verzicht, einen individuellen Täter festzustellen, resultiert aus der speziellen Natur von Straftaten in Unternehmen: Innerhalb komplexer Unternehmensstrukturen mit geteilten Verantwortungsbereichen ist der einzelne Täter nicht ohne Weiteres zu ermitteln. Dennoch stellt sich die Frage, wie die Verbandstat geprüft werden soll, wenn nicht klar ist, welche konkrete Person als Täter überhaupt in Betracht kommt (so z.B. Stellungnahme B.A.H. vom 12. Juni 2020, S. 6; Stellungnahme BDI und BDA vom 12. Juni 2020, S. 8).

Neu ist bei Aufsichtspflichtverletzungen, dass nur die zugrundeliegende Straftat der „sonstigen“ Person schuldhaft begangen worden sein muss. Die Aufsichtspflichtverletzung durch die Leitungsperson führt verschuldensunabhängig zur Sanktionierung des Verbandes. Das war nach bisheriger Rechtslage anders. An dieser Stelle wird damit eine unternehmerische Gefährdungshaftung statuiert (Kritik hieran siehe z.B. Stellungnahme BPI vom 12. Juni 2020, S. 5).

Verbandstaten im Ausland

Verbandstaten im Ausland konnten nach dem OWiG bislang nur verfolgt werden, wenn für die Straftat auch deutsches Recht galt. Regelmäßig musste die handelnde Leitungsperson dafür die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Ob der Sitz des Unternehmens in Deutschland liegt, spielte dagegen keine Rolle. Nach dem VerSanG sollen nun Straftaten, auf die das deutsche Strafrecht keine Anwendung findet, Verbandstaten gleichgestellt werden. Voraussetzungen hierfür sind nach dem VerSanG, dass die Tat nach deutschem Strafrecht eine Straftat wäre, die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt, der Verband zur Zeit der Tat seinen Sitz in Deutschland hat und die übrigen Voraussetzung einer Verbandstat erfüllt sind.

Fazit

Das VerSanG verschärft die Haftung von Verbänden für Straftaten von Nicht-Leitungspersonen sowie für Taten im Ausland. Bei Vorliegen einer Verbandstat ist – bei strengeren Sanktionen – die Schwelle des VerSanG niedriger als nach dem OWiG für Ordnungswidrigkeiten und Straftaten im Rahmen von Verbänden, deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. Einige Detailfragen sind allerdings noch offen; die Rechtspraxis wird sie auszulegen haben.

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Unternehmensstrafrecht

Dr. Katharina Schomm ist Senior Legal Counsel Strafrecht bei Vodafone. Dort berät sie als Syndikusrechtsanwältin in der Rechtsabteilung die Fachbereiche und die Unternehmensleitung zu allen wirtschaftsstrafrechtlichen Fragestellungen und zu Criminal Compliance. Bis Ende 2021 war sie Partnerin bei Wessing & Partner.