Entwurf zum Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz – oder „Wie rettet man die Staatsanwaltschaft vor dem Ertrinken in Cum-ex Verfahren?“

Mit Schreiben vom 6. Juni 2020 hat das Bundesministerium für Finanzen (BMF) für die Koalitionsfraktionen des Bundestags eine „Formulierungshilfe“ für einen „aus der Mitte des Deutschen Bundestags einzubringenden“ Gesetzentwurf zum Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz vorgelegt.

Der Gesetzesentwurf enthält – entgegen seinem Titel – nicht nur Regelungen zur Stärkung der Konjunktur, sondern auch Regelungen mit Auswirkungen auf das Steuerstrafrecht.

Mit dem Entwurf hat das BMF nicht nur die bereits vom Kabinett beschlossenen gesetzlichen Änderungen für die steuerlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Folgen und Stärkung der Konjunktur (Kinderbonus, temporäre Senkung der Umsatzsteuersätze auf 16% bzw. 5% u.a.) formuliert. Es hat auch Änderungen im Steuerstrafrecht in die Formulierungshilfe eingefügt, welche mit den Corona-Hilfsmaßnahmen in keinem sachlichen Zusammenhang stehen und bis dahin auch nicht Gegenstand öffentlicher Erörterung waren. Dies betrifft sowohl eine Änderung der Regelung zur Verfolgungsverjährung als auch eine neue Regelung zur Einziehung von Taterträgen bei Steuerhinterziehung im Falle der steuerlichen Verjährung.

Verlängerung der Verfolgungsverjährung bei Steuerstraftaten in einem besonders schweren Fall.

Es ist zu vermuten, dass diese Formulierungshilfe des Bundesfinanzministeriums mit der Verlängerung der Verjährungsfristen bei Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall eine Reaktion auf die bereits in der Presse kolportierten Schwierigkeiten der Staatsanwaltschaften und Gerichte ist, mit der gegenwärtigen Personalausstattung die zahlreichen Cum-ex-Verfahren bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung abzuschließen.

Hintergrund sind fast 100 von den Staatsanwaltschaften Köln und Frankfurt geführte Ermittlungsverfahren gegen rund 1.000 Beschuldigte, bei denen die Staatsanwaltschaft den Verdacht hat, dass diese am Handel mit Aktien rund um den Dividendenstichtag beteiligt waren, durch den es ihnen möglich gewesen sein soll, nur einmal oder gar nicht einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer mehrfach anrechnen bzw. auszahlen zu lassen. Hier sieht das BMF offenbar Bedarf nach mehr Zeit für die Abschlüsse der Verfahren, obwohl es bereits jetzt bis zu 25 Jahre dauern kann, bis Verfolgungsverjährung eintritt.

In Fällen der schweren Steuerhinterziehung tritt bereits jetzt Verfolgungsverjährung erst nach bis zu 25 Jahren ein.

Jetzt schon verjähren Steuerhinterziehungstaten im besonders schweren Fall erst nach bis zu 25 Jahren. Dieser Zeitraum bemisst sich zum einen aus der (Regel-)Verfolgungsverjährung bei Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall (§ 376 AO). Diese ist im Jahre 2008 von fünf auf zehn Jahre verlängert worden. Die Regelverjährung kann durch bestimmte Maßnahmen, wie z.B. eine Durchsuchung, unterbrochen werden, d.h. die Verjährung beginnt von neuem zu laufen.

Da verjährungsunterbrechende Maßnahmen mehrfach zu einem Neubeginn der zehnjährigen Verjährungsfrist führen können, tritt Verfolgungsverjährung nach der derzeitigen Regelung des  § 78c Abs. 3 StGB endgültig ein, wenn das Doppelte der gesetzlichen Verjährung erreicht ist.

Im Fall der Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall kann sich die Verjährung also auf maximal 20 Jahre verlängern. Zusätzlich ist es nach der Rechtsprechung des BGH (BGH v. 7.12.2016 – 1 StR 185/16, NZWiSt 2017 S. 230) möglich, dass die Verjährung bei Steuerhinterziehung im besonderes schweren Fall maximal weitere fünf Jahre ruht, wenn vor Ablauf der Verjährung die Anklage zum Hauptverfahren vor dem Landgericht zugelassen wurde, § 78b Abs. 4 StGB. Die Anwendung des § 78 b Abs. 4 StGB auf Fälle der Steuerhinterziehung wird allerdings in der Literatur teilweise bestritten (vgl. z.B. Heerspink in Kohlmann § 376 AO Rn. 174).

Kurzfassung (aktuelle Regelung):

Regelverjährung 10 Jahre, Verdopplung bei verjährungsunterbrechenden Maßnahmen auf maximal 20 Jahre, plus fünf Jahre Ruhen der Verjährung nach Anklage im Zwischenverfahren = Maximal 25 Jahre

Nach der Neuregelung soll die Verfolgungsverjährung bei Steuerhinterziehung nun erst nach bis zu 30 Jahren eintreten.

Nach dem Formulierungsvorschlag des BMF soll nun durch die Einfügung eines Abs. 3 in § 376 AO bei Fällen der Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall die Verfolgungsverjährung auf das 2,5-fache der gesetzlichen Verjährungsfrist verlängert werden. Das heißt, wenn vor Ablauf der zehnjährigen Regelverjährung verjährungsunterbrechende Maßnahmen eingeleitet werden, verlängert sich die absolute Verfolgungsverjährung auf maximal 25 Jahre. Ferner soll durch § 376 Abs. 4 AO n.F. klargestellt werden, dass das zusätzliche fünfjährige Ruhen der Verjährung nach Zulassung der Anklage beim Landgericht auch in Fällen der Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall gilt.

Damit verlängert sich die Verfolgungsverjährung in diesen Fällen um weitere fünf Jahre auf insgesamt maximal 30 Jahre. Die Begründung für diese Änderungen in der Formulierungshilfe nimmt ausdrücklich Bezug auf die Cum-ex-Verfahren, bei welchen eine Verjährung verhindert werden solle.

Kurzfassung (Gesetzesentwurf):

Regelverjährung 10 Jahre, 2,5fache Verlängerung bei verjährungsunterbrechenden Maßnahmen auf maximal 25 Jahre, plus fünf Jahre Ruhen der Verjährung nach Anklage beim Landgericht = Maximal 30 Jahre

Geltung für alle bisher nicht verjährten Fälle – unechte Rückwirkung

Die Neuregelung des § 376 AO soll für alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Änderungsgesetzes noch nicht verjährten Fälle gelten (unechte Rückwirkung).

Es ist darauf hinzuweisen, dass Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall nicht nur die Fälle betrifft, bei denen, wie in den Cum-ex-Fällen vermutet, bei den einzelnen Taten Steuern in mehrfacher Millionenhöhe hinterzogen wurden. Der besonders schwere Fall der Steuerhinterziehung des § 376 AO Abs. 3 Nr. 1 betrifft nach der Rechtsprechung (BGH, BGHSt 61 S. 28) bereits Fälle, in denen der Hinterziehungsbetrag je Tat EUR 50.000 übersteigt. In solchen Fällen soll danach eine absolute Verfolgungsverjährung gelten, welche diejenige von Delikten wie gefährliche oder schwere Körperverletzung (§§ 224 und 226 StGB) oder gewerbsmäßige Verbreitung von Kinderpornographie (§ 184 b Abs. 2 StGB) übersteigt.

Neuregelung 2: Einziehung von Taterträgen aus Steuerhinterziehung

Eine weitere vom BMF im selben Formulierungsvorschlag vorgelegte Änderung der Abgabenordnung betrifft ebenfalls das Steuerstrafrecht, hier den Bereich der Einziehung. Hintergrund dürfte eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs sein, die dem Bundesfinanzministerium missfällt. Hintergrund ist folgender:

Nach § 73e I StGB ist die Einziehung (§ 73e Abs. 1 statt I, §§ 73 – 73c StGB) ausgeschlossen, wenn der Anspruch des Verletzten erloschen ist. Zivilrechtlich verjährte Ansprüche können grundsätzlich weiterhin eingezogen werden. Eine Besonderheit zur Verjährung auch hinterzogener Steuern  regelt allerdings § 47 AO. Danach sind (festsetzungs-)verjährte Steueransprüche erloschen. In diesem Spannungsfeld vertraten für die Steuerhinterziehung Stimmen aus der Finanzverwaltung die Auffassung, dass eine Einziehung auch festsetzungsverjährter Steuern zulässig sei.

Der Bundesgerichtshof hatte zwischenzeitlich die Möglichkeit in einem einschlägigen Fall zu entscheiden (BGH v. 24.10.2019 – 1 StR 173/19). Er folgte den Stimmen der Finanzverwaltung nicht und stellte fest, dass die Einziehung bereits festsetzungsverjährter Steuer nicht zulässig ist. Der Begriff des Erlöschens in § 47 AO und in § 73e Abs. 1 StGB sei einheitlich auszulegen.

Mit dem vom BMF vorgeschlagenen Gesetzesentwurf soll nun ein neuer § 375a AO eingeführt werden. Danach wird ausdrücklich geregelt, dass in Fällen der (auch einfachen) Steuerhinterziehung Steueransprüche, die noch nicht erfüllt, jedoch schon verjährt sind, als rechtswidrig erlangte Taterträge nach § 73 StGB weiterhin eingezogen werden können. Das BMF hat damit wohl den BGH beim Wort genommen, wenn er in der vorgenannten Entscheidung formuliert:

„Die Strafgerichte sind gehalten, den Gesetzgeber beim Wort zu nehmen; ihn zu korrigieren, ist ihnen verwehrt“

Die Strafgerichte würden nach einer solchen Gesetzesänderung den Wortlaut des § 73e Abs. 1 StGB dann iVm § 375a AO lesen müssen und die Einziehung auch verjährter Steuern anordnen. Eine Einziehung wäre dann entsprechend § 76 b Abs. 1 StGB bis zu dreißig Jahre lang möglich.

Hiervon betroffen wären auch Unternehmen, da bei einer Steuerhinterziehung zugunsten eines Unternehmens (z.B. von deren Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer oder Umsatzsteuer) eine selbständige Einziehung bei diesen möglich ist.

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