Steuerhinterzieher und solche, die es nicht sind, an den Pranger?

Die baden-württembergische Steuerverwaltung hat ein anonymes Hinweisgeber-System für Finanzämter freigeschaltet. Als diskret, sicher und anonym wird es von der Oberfinanzdirektion Karlsruhe beworben.

Technisch sieht das neue Tool recht gut aus. Wie es mit der Anonymität dann wirklich steht, werden wohl irgendwann einmal der Chaos Computer Club oder andere Hacker herausfinden. Insbesondere die besonders gelobte Möglichkeit, anonym an einen Anzeigenden heranzutreten und diesen zu Ergänzungen und Klarstellungen aufzufordern, scheint datentechnisch sehr angreifbar zu sein.

Der grüne Finanzminister Bayaz hält diese Maßnahme nicht für populistisch und sieht sie auch nicht im Zusammenhang mit der in drei Wochen stattfindenden Bundestagswahl. Für ihn ist das Ganze eigentlich nur eine logische Fortführung der Tatsache, dass anonyme Strafanzeigen, nicht nur im Steuerbereich, schon immer möglich waren. Das Portal sei ja – nur – ein ergänzendes Instrument im Kampf für mehr Steuergerechtigkeit.

Es ist aber ein großer Unterschied zur individuellen anonymen Anzeige, wenn durch eine institutionalisierte Website faktisch eine Aufforderung ergeht zu denunzieren. Zudem: Ermittlungsbehörden gehen mit anonymen Anzeigen im Allgemeinen recht vorsichtig und fast mit spitzen Fingern um. Die Gefahr, dass über ein anonymes Hinweisgeber-System jemand aus dem Hinterhalt sein Mütchen kühlen will, ist schlicht zu groß.

Druck auf die Behörden

Bei einem mit großer Geste öffentlich angekündigten Instrument wird der Druck auf die Behörden, auch etwas daraus zu machen, groß sein. Was das mit der vorsichtige Herangehensweise der Vergangenheit machen wird, werden wir erleben.

Wir werden weiter sehen, ob diese Maßnahme einen Dominoeffekt hervorruft. Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, ist jedenfalls von der Idee angetan und will sie auf die Bundesebene heben. Sie wirft Bundesfinanzminister Scholz vor, er hätte ein solches Instrument schaffen müssen.

Dass die Bild-Zeitung titelte „Grünen Minister führt Steuer-Stasi ein“, mag ein unangemessener Vergleich sein. Die Förderung von Denunziantentum durch den Fiskus ist aber ein weiteres Element in der Abschaffung unseres liberalen Systems. Zudem sind die zur Rechtfertigung herangezogenen 50 Milliarden Steuerschaden im Jahr eine klassische Zweckschätzung – ohne wirklichen Beleg.

Nicht umsonst gibt es von jeher im Strafgesetzbuch die Vorschriften, die vor falscher Verdächtigung schützen. Mit der elektronisch unterstützten Anonymität eines Steuer-Hinweisgeber-Systems werden diese Vorschriften, die den Unschuldigen schützen sollen, klar ausgehebelt.

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