Neue Koalition, neues Glück? – Bedeutung des Koalitionsvertrags für das (Unternehmens-)Strafrecht

Die Ampel-Parteien haben am 24. November 2021 ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Darin betonen sie die Anwendung des Strafrechts als Ultima Ratio. Prävention, Resozialisierung und die Entlastung der Justiz sollen bei der „Modernisierung des Strafrechts“ die größte Rolle spielen. Wir haben die wichtigsten Punkte zusammengefasst.

Unternehmensstrafrecht

Die bestehenden Vorschriften zu Unternehmenssanktionen sollen überarbeitet werden. Dafür sollen die Sanktionshöhe reevaluiert und die Rechtssicherheit für Unternehmen im Hinblick auf Compliance-Pflichten verbessert werden. Vor allem die beim Entwurf des Verbandssanktionengesetzes kontrovers diskutierten internen Untersuchungen sollen somit einen präzisen Rechtsrahmen erhalten.

Insgesamt ist der Abschnitt zum Unternehmensstrafrecht kurzgehalten, genauere Angaben zu dem Reformvorhaben erfolgen nicht. Das ist aber wohl eher Zeichen des kurzen Stils des gesamten Koalitionsvertrags, als eines mangelnden Reformbewusstseins. Allerdings wird zu beobachten sein, auf welche Art und Weise die Koalition das Unternehmenssanktionsrecht verändern will. Ob die Passage so zu interpretieren ist, dass ein neuer Entwurf zu einem Verbandssanktionengesetz erarbeitet wird oder Reformen im bestehenden System des Ordnungswidrigkeitenrecht und der StPO erfolgen werden, wird man abwarten müssen.

Steuerstrafrecht und Geldwäsche

Erfreulich ist schließlich, dass der Zoll, Bundeszentralamt für Steuern (BZSt), die BaFin und die Financial Intelligence Unit (FIU) organisatorisch und personell gestärkt werden sollen, statt diese mit weiteren Befugnissen weiter zu (über)lasten.

Im Bereich der Bekämpfung der Steuerhinterziehung sind ebenfalls keine Gesetzesverschärfung vorgesehen. Stattdessen will die Koalition den Informationsaustausch auf verschiedenen Ebenen (International, zwischen Finanzaufsicht und Steuerbehörden) verstärken.

Bemerkenswert ist die Ausweitung der Meldepflichten auf nationale Steuergestaltungen. Wie diese ausfallen werden, wird man im Einzelnen prüfen müssen. 

Digitale Bürgerrechte und Strafrecht

Die Koalition plant die „digitalen Bürgerrechte“ und IT-Sicherheit zu stärken. Diese werden in einem eigenen Kapitel „digitale Innovationen und digitale Infrastruktur“  behandelt. Hier finden sich auch eine Reihe von Positionen wieder, die Auswirkungen auf das Strafrecht haben dürften.

Zum einen werden sogenannte „Hackbacks“ im Rahmen der Abwehr von Cyberangriffen abgelehnt mit der Folge, dass Manipulationen an Datenverarbeitungsanlagen von Angreifern nicht erlaubt sind und nach § 303a und 303b StGB strafbar bleiben. Damit wird die digitale Souveränität und das Grundrecht auf Gewährleistung der Integrität informationstechnischer Systeme gestärkt.

Gestärkt werden auch diejenigen, die im Bereich der IT – Sicherheitsforschung tätig sind. Das Identifizieren, Melden und Schließen von Sicherheitslücken in einem verantwortlichen Verfahren, soll legal durchführbar sein, mit der Folge, dass die entsprechenden strafrechtlichen Risiken aus § 202a, 303a, 202c und 303b StGB in Zukunft deutlich minimiert sein dürften.

Und schließlich plant die Ampelkoalition die Schaffung eines neuen Straftatbestandes. Eingeführt werden soll die Strafbarkeit rechtswidriger De-anonymisierung. Auch dies stärkt die digitalen Bürgerrechte. Die Koalition plant zudem das NetzDG grundlegend zu überarbeiten.

Weitere Strafrechtsreformen

Außerhalb des Unternehmenssanktionsrechts strebt die Ampel-Koalition weitere Änderungen im Strafrecht an.

  • Im Strafprozess sollen Hauptverhandlungen und Vernehmungen in Bild und Ton aufgezeichnet werden müssen. Damit würde erstmals in der (145-jährigen) Geschichte der Strafprozessordnung ein ausführliches Protokoll der Hauptverhandlung vorhanden sein. Das lässt sich getrost als epochale Wende bezeichnen. Die große Koalition hatte bislang alle Vorschläge hierzu verworfen (zuletzt 2016 und 2020).
  • Die Rechte der Beschuldigten und ihrer Verteidigung sollen besonders geschützt und ab der ersten Vernehmung sichergestellt werden. Damit werden die Rechte des Beschuldigten gestärkt.
  • Der Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt wird umgesetzt, indem geschlechterspezifische und queer-feindliche Beweggründe in den Katalog der Strafzumessungsgründe des § 46 Abs. 2 StGB aufgenommen werden sollen.
  • Im Bereich des Selbstbestimmungsrechts von Frauen steht die Abschaffung des seit langem kontrovers diskutierten § 219a StGB auf dem Plan. Damit wäre die Information über das Durchführen von Schwangerschaftsabbrüchen nicht mehr strafbewehrt.
  • Strafschärfungen soll es dagegen im Bereich des Tierschutzes geben.
  • Auch die Abgeordnetenbestechung- und Bestechlichkeit soll wirksamer gestaltet werden.
  • Die Legalisierung der Abgabe von Cannabis an Erwachsene in lizensierten Geschäften.

Bemerkenswert ist, dass die Koalition sich ausdrücklich zum Ultima-Ratio-Grundsatz des Strafrechts bekennt. Fairerweise muss man sagen, dass man dies auch schon von vorherigen Koalitionen immer mal wieder vernommen hat. Anders als diese will die Ampelkoalition zusätzlich eine systematische Überprüfung des Strafrechts vornehmen und dabei „historisch überholte Straftatbestände“ überprüfen. Das deutet darauf hin, dass das Gebot der Zurückhaltung des Strafrechts auch durch die Entkriminalisierung von Straftatbeständen (immerhin punktuell) wieder eine Rolle spielen dürfte. Die Abschaffung von Straftatbeständen hat seit Mitte der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts kaum eine Rolle gespielt.

Zudem kündigt die Ampel an, bei kriminalpolitischen Erwägungen (zukünftig) evidenzbasiert vorgehen zu wollen. Darin ist eine Absage an der in der letzten Wahlperiode zunehmend kritisierten „Symbolgesetzgebung“ zu sehen. Auch das wäre eine deutliche Trendwende.

Schließlich darf man den Bereich der Sicherheitsgesetzgebung nicht außen vor lassen. Hier handelt es sich zwar nicht um originäres Strafrecht. Aber in der zunehmend verschränkten Sicherheitsarchitektur sind auch die Tendenzen des Polizeirechts und des Nachrichtendienstes („Verpolizeilichung des Strafverfahrens/Vernachrichtendienstlichung des Strafverfahrens“) von Belang. Hier ist auffällig, dass die Ampelkoalition die Effektivität der bisherigen Sicherheitsvorschriften gesetzlich evaluieren will. Dazu soll auch ein unabhängiges Expertengremium (die sogenannte Freiheitskommission) geschaffen werden, die bei zukünftigen Sicherheitsgesetzgebungsverfahren Freiheitseinschränkungen evaluiert. Außerdem wird der Einsatz der Quellen-TKÜ und der Online-Durchsuchung in Frage gestellt, soweit der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung nicht sichergestellt ist. Die Vorratsdatenspeicherung soll anlassbezogen gestaltet werden.

All diese Themen sind deutliche Kontrapunkte zu den bisherigen Entwicklungen im Bereich der Sicherheit und Strafrechtsordnung.

Fazit

Insgesamt scheint die Koalition ihrem Versprechen eines moderneren Strafrechts und einer stärkeren Rückkehr zum Ultima-Ratio-Prinzip gerecht werden zu wollen. Vor allem aus Sicht eines Strafverteidigers eine zu begrüßende Weichenstellung. Selbstverständlich bleibt abzuwarten, in welcher Form die Vorhaben umgesetzt werden.

Im Bereich des Finanzstrafrechts wird die seit Jahren erkennbare Tendenz zum Ausbau des Datenaustausches fortgesetzt. Gesetzesverschärfungen stehen aber erfreulicherweise derzeit nicht auf dem Plan.

Insgesamt ergibt sich aus der ersten Analyse der geplanten Reformen im Bereich der Strafrechtsordnung, dass tendenziell mehr Zurückhaltung im Raum steht, als es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten der Fall gewesen ist. Das dürfte auch bei einer Reform des Unternehmensstrafrechts ins Gewicht fallen.

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